anbb – Mimikry

anbb_mimikry-cover1Nach der Vorab-EP „Red Marut Handshake“ und einer Tour, bei der anbb das Berghain beehrte, veröffentlichen Alva Noto und Blixa Bargeld (Einstürzende Neubauten) diesen Herbst das Album „Mimikry“. Dieses enthält neben den auf der EP schon vorhandenen Tracks – auch in erweiterter Version – sechs neue Werke.

Die Musik ist dabei von der Gegensätzlichkeit von Blixa Bargelds Stimme und Alva Notos entmenschlichten elektronischen Klängen geprägt. Wie faszinierend und ideenreich dieser Gegensatz sein kann, zeigt sich schon allein in dem ersten und längsten Track des Albums, „Fall“. Eröffnet wird es mit Bargeld-typischem Kehlkopfkreischen, das sich erstmal isoliert ins Gehör drängt, um kurz darauf von Alva Noto gedoppelt, oktaviert, verzerrt zu werden, bis daraus eine zweiminütige Klangwand erwächst. Stellt man sich das Hörerlebnis in lauter und stereofoner Umgebung vor, kann man einen kleinen Eindruck gewinnen, wie überwältigend der Auftritt von anbb im Berghain war.

Dass den beiden Hauptprotagonisten in jeder Hinsicht keinerlei Grenzen gesetzt sind, ist eine Erkenntnis, die nach dem Durchhören des Albums folgt. Das Kreischen wird weiter transformiert, unterbrochen und neu eingesetzt, auf Schleife geschickt, dazwischen folgen gesprochene Sätze oder verhallter Gesang, hinzu kommen Rauschen, Orgel- und Klavierklänge, aber auch gezielt eingesetzte Stille. Die ungeheure Bandbreite, mit der Stimme und Klang in diesem wie auch in den weiteren Tracks eingesetzt werden, mag bei dem alleinigen Gedanken daran schier erdrücken und überfordern, tut es jedoch nicht beim Hören. Denn die Musik ist durchgehend puristisch und minimalistisch, die verschiedenen Elemente sind eher aneinandergereiht und nehmen den Hörer stattdessen mit auf eine Reise. Kein Track ähnelt dem anderen, in jedem Song offenbart sich etwas völlig Neues.

Faszinierend ist dabei die Gleichgestelltheit der beiden Künstler, was wohl auch daran liegt, dass Bargelds Stimme fast überwiegend wie ein Instrument unter anderen eingesetzt wird und nicht aufgrund seines verbalen Inhalts im Zentrum steht, wie es bei den Einstürzenden Neubauten meist der Fall ist. Überhaupt – was mensch alles mit nichts anderem als der Stimme machen kann, wird hier eindrucksvoll vorgeführt. Bargeld spricht, flüstert, rezitiert, kreischt, singt und summt. Der Ästhetik des Stimmklangs wird dabei der Vorrang gegeben, weswegen oft sinnvolle wie sinnentleerte Wörter und Sätze nebeneinander stehen. Der poetischen Ästhetik der Sprache wird gleichwohl auch Respekt gezollt, so in den wunderschönen Zeilen des verträumten Tracks „Bernsteinzimmer“: „Eingeschlossen in mein Bernsteinzimmer lass ich euch allein… Seh zu, dass ich selber Land gewinne und kehre irgendwann zurück“. Dass es dennoch auch (für Bargeld) erstaunlich humoristisch zugehen kann, zeigt sich im letzten Track „Katze“: Hier besingen Bargeld und die als Gast hinzugeholte 72-jährige Künstlerin Veruschka von Lehndorff Liebe und Sehnsucht – mit Miauen.

Über, unter, neben Bargelds Stimmversuchen stehen dabei Alva Notos vielfältige Tonkreationen, die erst den Raum bereiten, in dem sich Bargeld austoben und entfalten kann. Mal bietet er das Fundament für die stimmlichen Experimente, mal ist er es, der den Stimmklang grundlegend verändert, ihm Größe verleiht oder aber isoliert und etwas völlig Neues daraus kreiert.

Ein faszinierendes Album haben Alva Noto und Blixa Bargeld geschaffen, das zwar manchmal etwas anstrengend und schwer verdaulich wie im Titeltrack „Mimikry“ erscheinen mag, jedoch mit elektronischer Klangkunst aufwartet, die berührt, bezaubert und auch zum Lächeln bringt.

Preview:

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Tracklist:

  1. fall
  2. once again
  3. one
  4. ret marut handshake
  5. bernsteinzimmer (long version)
  6. i wish i was a mole in the ground – extended
  7. mimikry
  8. berghain
  9. wust
  10. katze (featuring veruschka)

(raster-noton)