So war’s – Berlin Festival 2010

Berlin Festival 2010 im Flughafen Tempelhof / Milan Gonzales für BLN.FM

Zum Abschluss einer vollgepackten Berliner Musikwoche hat die Redaktion von BLN.FM das Berlin Festival auf dem Flughafen Tempelhof besucht und so viel wie möglich unter die Lupe genommen. Möglich war manches leider nicht – es hat sich ja bereits herumgesprochen, dass es organisatorische Mängel gab, die nicht nur zu langen Wartezeiten und verpassten Konzerten führten, sondern am Freitagabend gar zum frühzeitigen Abbruch mit anschließender Umsortierung des Programms für Samstag. Da wir darüber bereits berichtet haben, wollen wir uns an dieser Stelle auf das Musikprogramm konzentrieren. Dafür haben wir uns zusammengesetzt und unsere Eindrücke gesammelt.

Freitag

Flughafen Tempelhof beim Berlin Festival 2010 / by Matthias Bauer

Die Kölner Band MIT überraschte mit einem zunächst unscheinbaren Sänger, der jedoch plötzlich förmlich explodierte und mit seiner eigenwilligen Performance in seinen Bann zog. Eine der Überraschungen des Festivals.

Adam Green fanden die Damen „fast schon süß“, die Herren stempelten ihn ab als „Weiberheld“, „eher was für den ZDF-Fernsehgarten“ oder „besoffener Cowboy, der einen Talentwettbewerb gegen eine Kuh gewonnen hat“. Das sagt doch alles.

LCD Soundsystem zählten zu den Highlights: mit zwei Drumsets und einer insgesamt überzeugenden Show verabschiedeten sie sich von der Bühne. Wir waren begeistert.

Robyn war energetisch wie immer und präsentierte sich als professionell und präzise unterhaltender „Fembot“. Zwar hat sie wider Erwarten nichts von „Body Talk Pt. 2“ gespielt, doch wusste sie mit ihrer starken Bühnenpräsenz ordentlich einzuheizen… und das eine oder andere Disco-Klischee zu bedienen.

Bon Homme wiederum gab sich im Anschluss so selbstfixiert, dass er damit schon wieder zu faszinieren wusste – und mit seiner Musik, die durchaus interessant war.

Fever Ray schließlich, da war sich die Redaktion einig, setzte dem Freitagsprogramm die Krone auf. Ein langes, düsteres Intro baute zunächst knisternde Stimmung auf – bis endlich die unverwechselbare Stimme der verhüllten Karen Dreijer erklang. Die Bühnenshow mit viel Nebel und viel Laser war zwar damals im Berghain intensiver (weil intimer), wirkte aber auch im Hangar so phantasievoll und durchdacht, als ob Karen ihrem Publikum eine mystische Geschichte erzählen wollte.

Von Junip und Caribou erhaschte nur einer von uns ein paar Eindrücke, da man wegen der bekannten Probleme nicht mehr zwischen den Bühnen wechseln konnte. Junip (mit Sänger José Gonzales) war jedoch ziemlich entspannt und erholsam; Caribou lieferte ein großartiges Set ab, zu dem nicht umsonst alle hin wollten und die Schleusen verstopften.

Alec Empire zeigte sich, kurz vor dem vorgezogenen Ende des Abends, mit Atari Teenage Riot wieder mal als durch Aggression beeindruckender Agit-Entertainer, während gleichzeitig auf dem Club Floor Erol Alkan und später Renaissance Man eher anstrengende Sets mit viel zu vielen Breaks spielten.

Und der Rest war bekanntlich Schweigen (und Räumung des Geländes).

Berlin Festival 2010 - Freitagsprogramm / Milan Gonzales für BLN.FM

Samstag

Gang Of Four: Die „alten Männer auf der Bühne“ konnten den Indiejungs und –mädels, die zu den Hochzeiten der Band noch gar nicht geboren waren, immer noch zeigen, wo eigentlich die Wurzeln der heutigen Indiemusik liegen. Die älteren unter uns waren begeistert.

Bei Lali Puna hat der Drive gefehlt, da auch die Musik eher nett für zuhause als mitreißend für die Bühne ist.

Chilly Gonzales war bereits unser Samstags-Highlight. Mit unglaublicher Energie riss der Anarcho das Publikum mit und zeigte sich (wie immer) als brillanter Entertainer. Unterstützt wurde er von Mocky am Schlagzeug, einem weiteren Drumset und einem Gegenspieler am zweiten Flügel – und jeweils kurz auch von Boys Noize und einer Zuschauerin namens Emily (Respekt!). Als Zugabe gab es dann „Hotel California“ auf einem Casio-Klänge produzierenden Flügel. Fantastische, charmante Show.

Tricky wiederum verursachte hauptsächlich Enttäuschung. Er überließ die Arbeit gänzlich Band und Sängerin und präsentierte sich selbst als rauchende Dekoration in seiner eigenen Show. Musikalisch war es anfänglich monoton und nichtssagend, gegen Ende wurde es dann noch ganz nett.

Bei Soulwax fielen vor allem der präzise arbeitende Schlagzeuger und die gute Abstimmung der Band auf. Die Lichtshow war allerdings etwas zuviel des Guten. Umgekehrt verhielt es sich bei Boys Noize: hier beeindruckte eher das Licht als die Musik, der Headliner wirkte ein wenig verloren auf der großen Bühne und verließ sich vielleicht etwas zu sehr auf seine übliche Selbstinszenierung. Auch Hot Chip waren eher eine Abspulmaschine für ihre Hits – „die waren früher mal besser“, hörte man immer wieder im Publikum.

Peaches Lasershow beim Berlin Festival 2010 / Foto by Tobey Schleinkofer

Kommen wir also zu Peaches: die präsentierte ihre noch unfertige und daher manchmal etwas holprige neue Lasershow. Und die war visuell so umwerfend, dass man durchaus darüber hinweg sehen konnte, dass sie musikalisch (außer bei „Fuck The Pain Away“) unter ihren Möglichkeiten blieb. Es gab viel nackte Haut, Laser-Harfen und eine vollverspiegelte Tänzerin, die sich wie eine flüssige Discokugel geschmeidig im Licht wand. Und mittendrin stand Peaches als Science-Fiction-Todesengel mit blinkender… naja, ihr wisst schon. Großartig, psychedelisch und vielversprechend – und ein würdiger Schlusspunkt zu Mitternacht.

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Fazit

Einig war sich die Redaktion auch über die grundsätzlich gute Stimmung, die trotz der Schwierigkeiten und Mängel immer entspannt blieb. Ausländischen Festivalbesuchern fiel positiv auf, wie locker die Berliner damit umgegangen sind, dass sie einige wichtige Acts verpasst haben. Negativ aufgefallen ist jedoch auch noch etwas: die durchgehend schlechte Soundqualität. Viele Konzerte waren undifferenziert bis übersteuert – aber zum Glück wurden auf dem Gelände ja auch Ohrenstöpsel verkauft.

Das Gelände wiederum hat uns durch und durch begeistert. Die Location auf dem Flughafen Tempelhof ist erstklassig durch ihre Verortung in und Anbindung an die Stadt, durch den Geist, den sie atmet und das eigenwillige, liebenswerte Flair, das sie dadurch verströmt. Der stillgelegte Airport wirkt ein wenig wie ein ausgedachter Phantasieflughafen für ein Filmset – kaum zu glauben, dass hier bis vor wenigen Jahren regulärer (wenn auch damals schon musealer) Betrieb herrschte.

Der unschlagbare Ort wurde zudem gut genutzt: die Nebenbühnen in den geschlossenen Hangaren und die Hauptbühne nebst Festival-Spielplatz unter dem gigantischen, halboffenen Vordach mit Blick auf die weit entfernte Stadt – daran konnten wir uns gar nicht satt sehen. Wenn sich dieses Konzept erstmal organisatorisch eingependelt hat, hat es sicherlich das Potential, ein spannendes Festival inmitten urbaner Strukturen zu etablieren – mit anderer Besucherstruktur, anderem Line-Up und anderer Stimmung als auf dem Lande mit Zeltplatz und Sammelduschen. Und welche Stadt wäre geeigneter für solch einen Rummel als Berlin?

Bericht: Ima Johnen, Matthias Bauer, Matthias Hummelsiep, Oscar Vetter, Tim Thaler, Tobey
Fotos: Milan Gonzales, Tobey, Matthias Bauer