mit Bonobo + Andreya Triana, Jaga Jazzist, King Midas Sound, Pantha Du Prince, Autechre, Lou Rhodes, Mary Anne Hobbs, Prefuse 73, DMX Krew, Gaslamp Killer, Gonjasufi, Nosaj Thing, Moderat, Dub Mafia, Floating Points, Loops Haunt, Pink Freud, Kidkanevil, Kamp!, Niwea, Bibio, Muariolanza, Maceo&Envee, PBE&Makaruk, Three Traped Tigers, Schemeboys, Paula i Karol, D4D&Loco, Novika & Lex u.v.m.
Wie viel wissen wir eigentlich in musikalischer Hinsicht über unser Nachbarland Polen? Viel zu wenig, finden wir – dabei liegt es doch von Berlin aus wirklich nahe. Um einen ersten Eindruck der dortigen Elektroszene zu bekommen, sind wir einer Einladung ins 500 km entfernte Katowice gefolgt. Dort haben wir am letzten Augustwochenende das bereits fünfte Festiwal Nowa Muzyka besucht, das vom Energielieferanten Tauron gesponsert und auf einem alten Bergbaugelände im Herzen der Stadt veranstaltet wird.
Zwar spielten dort als Headliner auch internationale Stars wie Moderat, Bonobo und Gonjasufi, doch haben wir vor allem einen aufschlussreichen Einblick in die Szene und die Stimmung des lokalen Publikums erhalten. Zudem war die Verortung des Festivals im Dreiländereck zwischen Polen, Tschechischer Republik und der Slowakei sehr interessant für uns, da dies natürlich ein völlig anderes Einzugsgebiet mit anderen Trends und Erwartungen ist als unser vertrautes Berlin. Doch zunächst zur Musik.
Eine interessante Mischung anspruchsvoller und doch partytauglicher Live-Acts und DJs stellten die Veranstalter in diesem Jahr für ihr Publikum zusammen. Auf der großen Live-Stage startete für uns der Freitagabend mit Jaga Jazzist, der mittlerweile neunköpfigen Formation um Lars Horntveth aus Tønsberg in Norwegen. Leider bekamen wir von ihrer Instrumentenschlacht, bestehend aus einer Mischung aus Free-Jazz, Trip-Hop und Nu-Jazz (jeder der Musiker spielt mindestens zwei Instrumente), nur sehr wenig mit, da es für uns erst einmal hieß, anzukommen, das Gelände zu erkunden und der letzten halben Stunde des wundervoll verspielten Live-Sets von Pantha du Prince auf der zweiten Bühne zu lauschen.
Unser Highlight am Freitag war jedoch der Auftritt von Bonobo, der sich für die Bühnenumsetzung seines neuen Albums und natürlich auch ein paar seiner Klassiker eine wirklich umwerfende Live-Band zusammengestellt hatte. Natürlich durfte auch Andreya Triana, die aktuelle Stimme auf seinem Album, für Titel wie „Stay The Same“, „Eyesdown“ oder „Between The Lines“ nicht fehlen. Das mindestens fünfminütige und mit der Präzision eines schweizer Uhrwerkes gespielte Solo des Schlagzeugers brachte das Publikum dann zur vollständigen Extase – sie hätten die Musiker am liebsten gar nicht mehr von der Bühne gelassen.
Danach ging es für uns schnell zur kleineren Club-Stage, auf der gerade Autechre komplett im Dunkeln vor der imposanten Kulisse aus alten Fabrikgebäuden und einem Wasserturm ihre vetrackten und gleichzeitig melodiösen IDM-Tracks abfeuerten. Ohne Ablenkung durch unnötige Licht-Effekte konnte sich die Masse voll der Musik hingeben und ihren Bewegungen freien Lauf lassen. Die ausgelassene Stimmung im Publikum setzte sich im Anschluss bei Ex-BBC-Moderatorin und Dubstep-Expertin Mary Anne Hobbs mit vielen tiefen, wobbelnden Bässen und hier und da etwas Drum&Bass fort. Hier allerdings wieder mit Licht. Beendet haben wir den (für uns) ersten Festivaltag mit einer leckeren Riesenportion frittierter Piroggen – in der Nähe der kleinen Red-Bull-Bühne, auf der Kidkanevil ein schön abwechslungsreiches Set durch alle Arten von HipHop, Electro und auch Dancehall spielte.
Nach kurzer Nacht und ausgiebiger Besichtigungstour durch Katowice begann der zweite Festivaltag für uns an der Club Stage mit zwei visuell wunderbar unterstützen Live-Sets. Zu Beginn brachte Nosaj Thing mit epischen IDM-Tracks und experimentellen HipHop-Beats in Stimmung, um dann an Ed DMX aka DMX Krew abzugeben, der mit seiner Mischung aus Oldschool-Electro-Tracks, Acid und Booty-Bass-Nummern einen Jubelschrei nach dem anderen erntete.
Danach ging es dann schnell wieder rüber zur Live-Stage, um „unsere Berliner Jungs“ von Moderat nicht zu verpassen. Diese waren auf jeden Fall das absolute Highlight am Samstagabend. Die schier unbändige Energie der vier übertrug sich ab den ersten Klängen des Openers „A New Error“ auf die Zuschauer. Der gewaltige Sound der einzelnen Tracks wurde zwischendurch immer wieder durch die Vocals von Apparat unterstützt und somit perfekt ergänzt. Nicht unerwähnt bleiben sollen auch die beeindruckenden Visuals und Lightshow von Maks, der Moderat bei Live-Gigs noch zusätzlich zur Seite steht und die ganze Show visuell abrundet. Nicht nur wir, sondern auch Fans und die Band selbst waren sich einig, dass dies eine der besten Moderat-Shows überhaupt war – dazu hatte außer der Stimmung auch die durchgängig hervorragende Soundqualität des Festivals beigetragen.
Verpasst haben wir aufgrund unseres knappen Zeitplans leider Tag 1 und Tag 4 des Festivals, die jeweils mit Konzerten das Programm abrundeten. Donnerstag stand als Opening Act Lou Rhodes von Lamb auf der Bühne des Konzertsaals der Karola Szymanowski Academy Of Music und Sonntag Abend schloss das Festival mit einem weiteren Konzerthighlight. Hier stand Experimental-HipHopper Prefuse73 zusammen mit dem Aukso Orchestra mit dem Programm „The Pedicate Compositions“ auf der Bühne der Galeria Szyb Wilson in einem stillgelegten Kohleminenschacht. Außerdem fanden in verschiedenen Locations im Stadtgebiet auch Film-Screenings und begleitende Vorträge statt.
Beeindruckt haben uns neben dem großartigen Line-Up übrigens auch die Organisation und der Veranstaltungsort des Festivals sowie die Stadt selbst. Tagsüber haben wir Katowice erkundet, welches das Zentrum eines Großraums mit derselben Einwohnerzahl wie Berlin ist und innerhalb der Stadtgrenzen selbst etwa 300.000 Menschen beherbergt. Die Stadt wirkte auf uns wie ein Museum sozialistischer Stadtplanung: Der Charme des Authentischen und Vergangenen war in jeder Straße spürbar, ohne dass wir das Gefühl hatten, an einem unbelebten Ort zu sein. Eine Insel des Pragmatismus inmitten konformistischen Sanierungswahns (der benachbarte Touristenmagnet Breslau bildete dazu den Kontrapunkt: dort war uns alles viel zu sauber).
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Das Festivalgelände befand sich auf einer Anhöhe, aus der zu früheren Zeiten einmal Kohle herausgegraben wurde. Fördertürme und verfallene Ziegelgebäude bildeten mit sehr vielen Bäumen und stimmungsvoller Beleuchtung eine Art postindustrielles Wunderland. Hinter der Hauptbühne entfaltete sich die urbane Kulisse der Kattowitzer Hochhaussiedlungen, die Nebenbühne war eher intim und von Bäumen und Gebäuden eingerahmt.
Die Stimmung unter den etwa 4.000 Besuchern war auffallend friedlich, was nicht nur daran lag, dass nur Musikinteressierte und keine bloßen Partygänger da waren, sondern auch an der guten Organisation. Die Bühnen waren durch großzügige Schleusen vom Zentralbereich mit Gastronomie und riesigen WC-Batterien abgetrennt. Im teilüberdachten Gastro- und Erholungsbereich gab es zudem nur Bierausschank – stärkerer Alkohol wurde nicht verkauft. Doch wie gesagt: Die Leute waren für die Musik da und nicht zum Betrinken. Das Essensangebot war herzhaft, vielseitig und erschwinglich (nicht nur für ausländische Besucher).
Schwierig war es zunächst nur, in Kontakt mit den polnischen Festivalbesuchern zu kommen. Generell wurde einem als Tourist mit einer gewissen Skepsis begegnet, als deutschem Tourist vielleicht sogar doppelt. Glücklicherweise jedoch hatten wir einen polnisch sprechenden Guide und Dolmetscher dabei, der für uns das Gespräch mit den Einheimischen gesucht hat. Trotzdem waren immer noch sehr wenige bereit, mit uns zu sprechen. Die Frage, warum ausgerechnet Berliner nach Polen fahren, um ein Festival zu besuchen, wurde uns von jedem Angesprochenen gestellt („Ihr habt doch bei euch alles!“). Kam es jedoch zu einem Interview, tauten die Polen sehr schnell auf und wurden gesprächig und sehr freundlich. Deutliches Highlight waren ausgerechnet unsere Berliner Helden Moderat – und gute elektronische Musik aus Polen wollte keinem so recht einfallen. Die Essenz unserer Interviews (mit Übersetzung, natürlich) kann man nachfolgend anhören.
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Fazit: Die BLN.FM-Exkursion nach Polen hat uns vielfach positiv überrascht und Lust auf mehr gemacht. Ob es wirklich keine gute elektronische Musik aus Polen gibt, werden wir noch mal recherchieren. Wie man jedoch ein entspanntes, reibungslos ablaufendes und sehr unterhaltsames Festival veranstaltet, das zwar durch und durch kommerziell organisiert ist, aber trotzdem keinen Moment damit genervt hat (so waren nicht mal die Bühnen mit Werbung vollgeklebt) – das haben wir bei unseren Nachbarn eindrucksvoll gezeigt bekommen.
Bericht: Matthias Bauer, Patryk Paczynski, Tobey
Fotos: Tobey, Matthias Bauer