Matthew Herbert – One One

Matthew Herbert - One OneWer bereits in der Oper von Sydney gespielt, eine ganze Big Band auf die Beine gestellt und zu guter Letzt auch noch einer Chipstüte Musik entlockt hat, braucht eigentlich nicht mehr zu beweisen, dass er ein vielseitiger, ein ernsthafter, ein genialer Musiker ist. Seine Distanzierung von der „hedonistischen“ Tanzmusik, festgehalten in seinem „Manifesto“ (einem Vertrag mit sich selbst), seine Klangkunst und seine politischen Inhalte machen Matthew Herbert einzigartig.

Der erste Teil der „One“-Trilogie (deren zweiter Teil eine Nacht in Frankfurt beschreiben soll und Teil drei das Leben eines Schweines) hat nun nicht nur Herberts Gesangsdebüt zu bieten – nein, alles andere ist auch, ganz nach seinen Grundsätzen, komplett selbst gemacht. „One One“ ist ein ruhiges, kaum experimentelles Album, auf dem er seine großen Stärken (und auch Schwächen) zeigt. Die Beats sind ausgefeilt und voll klanglicher Tiefe und Brillanz, wie es zu erwarten war. Herbert spielt mit Rhythmen – und sein Gesangsdebüt er­weist sich, dank seiner Sampling-Künste, als gelungene Innovation für das Klangspektrum.

Angeblich sollen die Tracks auf „One One“, die nach Städten wie Berlin, Manchester und Singapur benannt sind, den Ablauf eines Tages beschreiben. Und tatsächlich ist der erste Track, „Manchester“, ein musikalischer Sonnenaufgang, dessen sphärische Klänge an die Filmmusik zum Zombie-Schocker „28 Weeks later“ erinnern. Mit den folgenden Stücken bildet diese erste Hälfte bis zur Mittagsstunde ein stimmiges Ensemble und steigert sich zum musikalischen Zenit, „Dublin“, das irgendwo zwischen Swing und Bongo-Klängen angesiedelt ist. Die Songs des Vormittags sind insgesamt stimmig, einprägsam und leicht poppig (so erinnert „Singapore“ an den Stil Coldplays auf „Viva la Vida“).

Mit dem Lauf der Sonne schlägt jedoch die Atmosphäre um und wird düsterer, ernsthafter und emotionaler. Der „Nachmittag“ hat allerdings recht wenig zu bieten: „Palm Springs“ dudelt mal kosmisch, murmelt mal manisch vor sich hin. Das ist leider vollkommen unpassend, da es weder ein Bindeglied zwischen Mittag und Nachmittag, noch ein Gegenstück zu „Dublin“ darstellt. Nur „Berlin“ und insbesondere „Porto“, welches augenscheinlich eine verzweifelte Flucht illustriert, zeigen das Können Herberts, denn diese Tracks ergreifen den Zuhörer trotz oder wegen ihrer abendlichen Schwere mit einer erstaunlichen Intensität, Abwechslung und Emotionalität – man riecht den Duft, schmeckt den schweren Geschmack einer schwülen Nacht; die trügerische, spannungsgeladene Ruhe: „Time’ll be a healer!“.

Matthew Herberts Können stellt er in „One One“ abermals unter Beweis – wenn auch nur in einigen Songs. An Konzeption fehlt es dem Werk nicht, jedoch an Konsequenz und letzten Endes an einer knackigen Umsetzung. In Sachen Kreativität muss er in den folgenden Teilen seiner Trilogie erst noch beweisen, dass er an Vorgängeralben wie „Plat du jour“ und „Scale“ anknüpfen kann.

(Text: Arne Markuske)

Preview:

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Tracklist:

  1. Manchester
  2. Milan
  3. Leipzig
  4. Singapore
  5. Dublin
  6. Palm Springs
  7. Porto
  8. Tonbridge
  9. Berlin
  10. Valencia

( Accidental Records / Pias )