Jamie Lidell – Compass

jamie-lidell-compassJamie Lidell hat um die Nuller Jahre herum mit seinem Album “Muddlin Gear” und in seiner Kooperation mit Cristian Vogel als Supercollider eine Soul-Dimension in den Techno getragen, die kaum vorhersehbar war. Stax meets Bleeps and Klongs – das war nicht gerade naheliegend. Auf dem Hintergrund der damaligen Hörgewohnheiten klangen diese Tracks seltsam entrückt, so als würde Curtis Mayfields Atem in der Feedbackschleife eines Modularsynths umherirren.

Nur wenige hatten zu dieser Zeit überhaupt organische Elemente in den Techno eingeschleust. Es gab da noch Herbert, der stilprägend war für die Überführung von Deep-House in abstrakten Techno mit Soul, und der mit wirklichen Instrumenten und richtigen Harmonien nicht nur die Minimal-gestählten Herzen aufbrach, sondern wirklich so etwas wie einen Alternativentwurf zum klassischen Techno anbot. Das hatte einen bleibenden Eindruck hinterlassen, und heute wollen alle wieder richtige Instrumente spielen. Bedroom-Producing ist out. Autistisches Bildschirmgestarre findet kein Groupie mehr nerdig-sexy. Wir wollen wieder mehr analoges Leben, Rock’n’Roll, Instrumente zum daraufspielen und abrocken, und heute hat auch fast schon der letzte Provinz-Techno-DJ erkannt, dass mit Traktor und Serato zwar vieles einfacher geht, mit Vinyl aufzulegen aber irgendwie cooler ist.

Insofern liegt Jamie Lidell auch mit seinem neuen Album “Compass” voll im Trend zu mehr analogem Leben, schließlich heißt sein Album auch nicht GPS und ist wie schon seine letzen Alben richtig schön instrumental.  “Multiply” und “Jim” waren bereits sehr nah am klassischen Funk und R’n’B, deren Gesten Lidell ohnehin genuin bewohnt. Keine großartigen stilistischen Neuerungen auch auf „Compass“. Der Soul trieft saftig groovend aus allen Songs, Lidell bewegt sich nativ in der Formensprache des R’n’B und faltet mit den Mitteln eines klassischen Genres ein ganzes Universum auf.

Das ist sehr viel mehr, als die allermeisten, die das Musikbusiness bevölkern, können – und garantiert große Kunst. Diejenigen, die davon sprechen, dass Lidells erste Produktionen doch viel fortschrittlicher und avancierter waren, haben die simple Tatsache nicht verstanden, dass Geschichte nicht linear ist. Das schönste an dem Album ist also sein Bekenntnis zur Musik. Dieses ewige uninspirierte Geklicker und Geklacker kann ohnehin schon lang niemand mehr hören. Innovativ ist das schon seit Jahren nicht mehr. Tod dem Retortenminimal! Es lebe das wahre Leben, die wahre Liebe und der wahre Soul!

Tracklist:

  1. Completely Exposed
  2. Your Sweet Boom
  3. She Needs Me
  4. I Wanna Be Your Telephone
  5. Enough’s Enough
  6. The Ring
  7. You Are Waking
  8. I Can Love Again
  9. It’s A Kiss
  10. Compass
  11. Gypsy Blood
  12. Coma Chameleon
  13. Big Drift
  14. You See My Light

(Warp / Rough Trade)