Ja, sie muss gehen, aber sie verabschiedet sich mit einem großen Finale: In der Temporären Kunsthalle Berlin wurde am 02.07. die allerletzte Ausstellung eröffnet. Noch bis zum 31.08. hat man nun die Möglichkeit, den „FischGrätenMelkStand“ zu entdecken – bei täglicher Öffnung und kostenlosem Eintritt.
Obwohl von einem Beginn der Neubauarbeiten für das „Humboldt-Forum“ bis auf eine Info-Box nichts zu sehen ist (und man sich fragt, ob es jemals dazu kommt), wird doch die Verlängerung der U5 in Angriff genommen – und die neue Station „Museumsinsel“ soll genau dort liegen, wo jetzt der Ausstellungsraum steht. Abgesehen davon – laut Tagesspiegel „typisch für Berlin“ – wird am einst beschlossenen Konzept der Halle trotz veränderter Gesamtsituation nichts geändert: Nach zwei Jahren ist nun also Schluss mit experimentellen Schauen gegenüber den etablierten Galerien.
Zum Abschied wird dem Publikum ein wahnwitziges Gesamtkunstwerk geboten, ein übereinander getürmter und verschachtelter Koloss, in dem Arbeiten von 63 Künstlern verschiedenster Couleur miteinander verquickt und tetrisähnlich ineinander geschoben wurden. Auf Grundlage eines handelsüblichen Baugerüstes ist so etwas wie ein dreistöckiges Haus in der Halle entstanden, in dem die Kunstwerke ihren eigenen Raum selbst definieren – indem sie Wände aus Autoreifen, Sperrholz oder Wellplastik bilden, verwinkelte Gänge entstehen lassen oder gleich in einem alten Wohnwagen installiert sind, der in Einzelteilen im „Haus“ mit verbaut wurde.
In einer solch ungewöhnlichen und den Horizont erweiternden Struktur gibt es nun einiges zu entdecken, denn man kann das ganze Gebäude auf eigene Faust erkunden und alle Winkel betreten, die man findet – ausgenommen diejenigen, die zu fragil oder gar lebensgefährlich sind, wie die metallene Gerüstbrücke in der luftigen Höhe des dritten Stocks, den durch die Außenwand gebrochenen Sperrholzbalkon zum Schlossplatz hin oder das kopfstehende Holzhäuschen, das unter dem Hallendach hängt. Immer wieder kann man irgendwo hoch oder durch einen der zahlreichen niedrigen Durchlässe steigen – bis hin zu einem „Backstage“ genannten Raum, der wie das Atelier eines Künstlers wirkt, der gerade kurz außer Haus ist.
Von diesem „Hinterzimmer“ strahlt allerdings eine ganz besondere Stimmung auf die ganze Ausstellung ab – eine Stimmung der Intimität und der Lebendigkeit der Kunst. Während man backstage das Gefühl hat, der Bewohner des Raumes könne jeden Moment wieder kommen, man sogar unregelmäßig leise Arbeitsgeräusche hört, schafft das restliche Gebäude durch seine ungewöhnliche Raumordnung und die zur Begehung notwendige ungewöhnliche Bewegung und Wahrnehmung eine ganz andere Form von Bezug zwischen Publikum und Kunstobjekt. Dies ist keine sterile Halle, in der das Ausgestellte analytisch seziert wird (eine Situation, die ja durch die „Zeigen“-Installation im vergangenen Winter schon kommentiert wurde) – hier lebt man für kurze Zeit mitten im Kunstwerk, fühlt sich wohl (oder auch nicht) und kann sich die Umgebung ganz anders zu Eigen machen.
Ob jeder Besucher nun mit den einzelnen „Räumen“ etwas anfangen kann – exemplarisch als schwierig erwähnt seien die bereits viel zitierten verbrannten Pizzen oder die alten Filmplakate – ist natürlich eine andere Frage. Allein durch seine Gesamtheit und Anordnung wirkt der „FischGrätenMelkStand“ jedoch inspirierend und bereichernd. Und während die Kuratoren das Ganze vieldeutig als Melkmaschine für Milchkühe des Kunstbetriebes betiteln (denn darauf verweist der Name der Schau), gestaltet es sich für das Publikum eher als Abenteuerspielplatz der modernen Kunstszene – und als eindrucksvoller Abschied für den „White Cube“ auf dem Schlossplatz.
„FischGrätenMelkStand“, noch bis zum 31.08.2010 in der Temporären Kunsthalle Berlin, Schlossplatz, Berlin-Mitte, S-/U-Bahn Alexanderplatz. Die Ausstellung ist täglich von 11-18 Uhr begehbar, der Eintritt ist frei.