Drei Jahrzehnt war Gudrun Gut eine der wichtigsten Akteure der elektronischen Szene Berlins. 1980 begründete sie die Einstürzenden Neubauten mit. Sie war Mitglied vieler Bands – so auch von Malaria! („Kaltes Klares Wasser“). Zusammen mit Thomas Fehlmann gestaltet sie seit vielen Jahren auf Radio Eins das Ocean Club Radio. Ihr derzeit aktuelles Projekt ist eine Zusammenarbeit mit Antye Greie-Fuchs (AGF) und nennt sich Greie Gut Fraktion. AGF ist eine Elektronik-Künstlerin, die mit dem Projekt Laub Ende der 1990er bekannt wurde, das mit Tracks zwischen Avantgarde und Pop-Elektronik Bekanntheit erlangte.
Das Debut-Album der zwei Produzentinnen heißt „Baustelle“. Joey Hansom besuchte Gudrun Gut im Büro ihres Labels Monika Enterprises – und sprach mit der Berliner Elektronikpionierin über den Entstehungsprozess der Platte, ihre Beobachtungen in der Berliner Elektronik-Szene und die Unsichtbarkeit von Frauen in der Musikszene.
Die BBC beauftragte Dich und AGF zu einer Coverversion von „Wir bauen eine neue Stadt“ von Palais Schaumburg?
Das lief ein bisschen anders. Die BBC hatte die Idee, dass Antye Greie für die Show „Late Junction“ mit Berliner Künstlern zusammenarbeiten sollte. Sie wählte mich aus. Dann mussten wir uns ein Thema suchen – und da kam uns sofort die Idee mit der Baustelle. Also nahmen wir drei Originaltracks und eine Coverversion auf. Ich wählte dann die Coverversion für die Show aus. Wir mochten die Zusammenarbeit und so entschieden wir uns ein ganzes Album draus zu machen.
Hast Du Antye vorher schon gekannt?
Ich kannte sie von Laub. Die Band hat in den späten 1990ern mal zusammen mit dem Duo Quarks von meinem Label Monika Enterprises gespielt. Ich sah Antye dann mal in London auftreten. Persönlich kennengelernt haben wir uns erst im Dezember 2008 als wir auf dem gleichen Festival in Moskau aufgetreten sind. Da haben wir Zeit miteinander verbracht und sind super miteinander ausgekommen.
In der Architektur wird alles von vornherein exakt geplant. War das auch bei Eurer Musik zu „Baustelle „auch der Fall – oder habt ihr die Musik eher organisch wachsen lassen?
Bauen hat ja nicht nur etwas mit Architektur zu tun. Es ist ein ganzer Bauprozess, der chaotisch abläuft. Und so arbeiten wir ziemlich ungezwungen: eine hatte eine Idee und sendete es der anderen. Wir wollten auch nicht nur auf die Baustellen-Geschichte fokussiert sein, deshalb fassten wir die Idee ein wenig abstrakter. „Drilling The Ocean“ ist zum Beispiel ein Mix: einerseit hat es die Pointe, dass man auch etwas tun kann, wenn es unmöglich scheint – und gleichzeitig ist es ein Liebeslied.
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Antye wohnt in Finnland – lief Eure Zusammenarbeit also vor allem virtuell?
Die meiste Zeit lief es über’s Internet. Einmal habe ich Antye nach einem Festivalgig in Helsinki auf Hailioto besucht, der Insel auf der sie lebt. Da verbrachten wir zehn Tage um unsere Ideen zu fixieren, Musik zu hören und darüber zu reden, welche Richtung wir einschlagen möchten. Da haben wir auch die meisten Tracks als Skizzen angelegt. Dann fuhr ich zurück nach Berlin und arbeitete dran, Antye arbeitete in Finnland dran – und wir schlossen alles per E-Mail ab.
Danach kam Antye nach Berlin damit wir die Live-Show proben konnten. – Dabei war es wirklich interessant mit Antye zu arbeiten, weil sie technisch sehr versiert ist. Das hatte viel von einer 1:1-Zusammenarbeit. Ich habe vorher schon einige Kollaborationen, aber die liefen so, dass ich die Musik machte, andere die Texte – aber hier haben wir beide alles gemacht! Ursprünglich hatte ich einen Teil der Tracks abgemischt, aber nachdem ich festgestellt hatte, dass Antyes besser klangen, hat sie das komplette Abmischen übernommen.
„Wir bauen eine neue Stadt“ war ein Song, der im Zuge der Neuen Deutschen Welle Anfang der 1980er vor dem Fall der Mauer rauskam . Was hatte er damals für eine Bedeutung?
Es war ein Lied das meinte: wir machen unsere eigenes Ding, wir bauen unsere eigene Stadt.
Hatte das was mit dem Ost-West-Konflikt zu tun?
Nein, das war eine reine West-Geschichte. Ich lebte damals in Westberlin. Palais Schaumburg (von denen kommt der Original-Song, d. R.) kamen aus Hamburg. Die Städte Hamburg, Berlin und Düsseldorf waren damals musikalisch eng verbandelt – mit Bands wie Der Plan, Abwärts, Palais Schaumberg, Einstürzende Neubauten, Malaria! Das war nicht wirklich die Neue Deutsche Welle, sondern das war schon davor. Erstmals haben wir in Deutsch gesungen, wir fanden damals unsere Sprache.
Das mit Antye und mir ist hingegen eine Ost-West-Geschichte. Antye kommt aus Ostdeutschland, ich aus dem Westen. Bei „Baustein“, den wir als einen der letzten Tracks aufgenommen haben, kam sie mit den Zeilen „“Bau auf, bau auf, bau auf für eine bessere Zukunft” – Da habe ich gedacht: ‚Hey Antye, willst Du diese Zeilen wirklich?‘ – Das ist dann doch ein bisschen zu heftig. Sie meinte dazu: ‚Nein, das ist ein altes DDR-Propaganda-Lied.‘ Das war so ein Zeitpunkt, wo ich wirklich bemerkt habe, dass wir sehr unterschiedlich aufgewachsen sind. „Wir bauen eine bessere Zukunft“ war eine urkommunistische Losung. Mit diesen Wissen fand ich den Text gut.
Du bist ja seit 30 Jahren Berlinerin. Wie siehst du da die Veränderung in der Underground und Independent-Musikszene in den Jahren? Ur-Berliner meinen ja, dass es immer schlimmer wird – kommerzieller und gentrifiziert. Andere sagen: es wird weder besser noch schlechter, nur anders. Wie stehst du dazu?
Beide haben recht. Derzeit gibt es ja viel Party-Tourismus nach und in Berlin, was ich nicht leiden kann. Die Leute kommen einfach für das Wochenende nach Berlin, weil Ausgehen hier billiger ist als in Spanien oder anderswo. Das nervt schon ein bisschen. Aber andererseits ist Berlin groß genug für solche Plätze und andere. Ich mag die internationale Mischung, die Künstler von überall, die in Berlin arbeiten – das ist toll.
Für mich war das richtig interessante Berlin aber das in den Wilden Zwanzigern, als alles begann. In Berlin ging es wirklich wild zu – und dennoch hatte es Ecken und Kanten. Die gehören zu dieser Stadt einfach dazu – und so glaube ich nicht, dass es hier langweilig wird. Schließlich wohnen eine Menge kreativer Menschen in der Stadt – und das stimmt mich hoffungsvoll.
Zurück zu der Szene in den 1980er und 1990ern: gab es da viele Frauen, die sich beteiligten? Im Londoner Punk waren die Geschlechterunterschiede ja reduziert: Frauen wurde gleichwertig anerkannt und waren nicht nur nettes, sexualisiertes Beiwerk an der Seite, sondern Aktivistinnen. – War das im Deutschland der 1980er auch so?
Ja, hier war es auch so. Jedesmal, wenn so eine kulturelle Bewegung anfängt, sind immer viele Frauen mit dabei. Das ist dann immer eine spannende und spaßige Phase. Das war in Berlin wie überall in Europa. Es gab eine Menge Künstlerinnen – und alle waren gleichgestellt, dass ich niemals dachte: ‚Wir müssen gegen die Männer kämpfen.‘ – Wenn es sich aber professionalisiert, dann sind nicht mehr so viele Frauen da, die Geld und Karriere machen.
Als du dein Label Monika Enterprises in den späten 1990ern begonnen hast, veröffentlichten darauf nur einige wenige Künstlerinnen. Das Logo war der Kopf einer Frau. War es eine bewußte Entscheidung Frauen eine Plattform zu geben oder passierte das einfach so?
Beides. Weil ich selber Künstlerin bin, möchte ich andere Frauen sehen und hören. Das ist für mich interessanter, weil ich da näher dran bin. Ich finde es seltsam, dass auf den Vertragslisten der Festivals oder Labels so viele Männer sind. Es gibt sogar Label, die keine einzige Künstlerin in ihrem Katalog haben. Wie kann sowas passieren? Eigentlich eine Unmöglichkeit! So habe ich mir gedacht, dass ich es einfach andersrum mache. Ich habe auch ein, zwei Männer unter Vertrag, aber die Mehrheit soll weiblich sein. Seltsamerweise werde ich das immer gefragt – aber andersherum werden Labelchefs nie gefragt, warum auf ihren Labels keine Frauen veröffentlichen.
Das ist schon eine Doppelmoral. Aber solange wir nicht wirkliche Gleichheit erreicht haben, müssen eine Balance so hergestellt wie du es machst. Vielleicht muss man sich in der Zukunft nicht drum kümmern, aber heutzutage ist es immer noch relevant.
Genau so gehe ich bei meinem Label ran – und das ist für mich ganz selbstverständlich.
Greye Gut Fraktion: „Baustelle“ ist Mitte Juni bei Monika Enterprise erschienen.