Atari Teenage Riot – Das anarchistische Squad ist reaktiviert!

Atari Teenage Riot 2010

Plötzlich waren sie wieder da! Vor ein paar Tagen tauchte völlig unerwartet eine neue Single der Berliner 1990er-Technopunk-Legende Atari Teenage Riot auf! Der Elektrokracher „Activate“ ist der perfekte Anheizer für die anstehende Protestsaison.

Atari Teenage Riot: Activate (2010)

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Alec Empire zur Wiederkehr von Atari Teenage Riot

Tim Thaler sprach mit Alec Empire über das Update des Sounds. Wird Atari Teenage Riot eine 1990er-Zombie-Band? Gibt es ein richtiges Leben im falschen?

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Alex Empire

Die News zur Reunion-Tour von Atari Teenage Riot kam ja irgendwie zielgerichtet zum 1. Mai ins Netz. Ist das ein dummer Zufall oder ein Werbegag?

Wir spielen eine London-Show Anfang Mai. Das läuft halt parallel zum Mai. – Am 1. Mai werden wir nicht in Berlin sein, da habe ich eine Alec Empire-Show beim Donaufestival in der Nähe von Wien. Aber klar, wenn Atari Teenage Riot was dazu beitragen kann, dass Demonstrationen politischer werden – um so besser!

Seit den 1990ern seid ihr ja mit Atari Teenage Riot dem Revolutions-Gedanken treu. Wie beurteilst Du denn Protest im Jahr 2010?

Man muß immer erstmal angucken: worum geht’s? Über welche Demonstrationen spricht man? Viele Leute sagen ja, die Musik ist derzeit apathisch und unpolitisch. Ich hingegen denke, dass die Leute sehr viel aktiver sind als früher, weil sie sich über das Internet besser vernetzen können. Die Demonstrationen gegen den Irak-Krieg zum Beispiel. Die waren weltweit sehr groß und die Leute wußten auch ganz genau Bescheid, wogegen sie sind. Da kann man nicht generell sagen, dass die Leute unpolitischer geworden sind. Ganz im Gegenteil. Es findet nur nicht in der Musik-Szene statt. Da finde ich es problematisch, dass Leute ausgeschlossen werden, die was Kritisches zu sagen haben. Independent-mäßig kann zwar jeder was ins Netz stellen und hat dadurch eine größere Möglichkeit sich hörbar zu machen. Aber gerade im Indie-Bereich können die Bands kaum noch etwas verkaufen. Dadurch versiegt sowas halt auch schnell.

Heutzutage disst ja jeder Möchtegern-Hiphopper weitestgehend alles mögliche und jeden: „Leben und Staat sind scheiße!“ Auch wenn Atari Teenage Riot keine Hinterhof-Rapper sind, es sind ja auch die Themen von euren Songs. Für wie wichtig hälst du die Botschaft von Atari Teenage Riot heutzutage? Hast Du da noch eine Botschaft oder ist das eine Pose um Aufmerksamkeit zu bekommen?

Das war ja immer so die Kritik – „Das ist ja nur Provokation!“ Man muss da immer auch wirklich auf die Texte und Statements gucken, die Atari Teenage Riot gemacht hat. Das ist komplett anders als bei den Beispielen, die du davor genannt hast.

Heute lassen Leute Sachen mit sich machen, die sie vor 10 Jahren komplett abgelehnt hätten.

Beispielsweise beim Album „Future Of War“. Das beschreibt genau das, was die letzte Zeit passiert. Es geht um Krieg, der niemals endet. Kriege werden gemacht, um Profite zu machen. Menschen werden dadurch getötet. Es ist eine Maschinerie, die da zu Gange ist, die nicht mehr so einfach nur an einem Gesicht von einem Politiker festgemacht werden kann. „Das ist jetzt der böse George W. Bush. Oder der Obama. Oder das war Adolf Hitler damals.“ Es ist natürlich komplizierter darzustellen. Atari Teenage Riot hat die Botschaft damals immer schon als Warnung herausgejagt. Das wurde von manchen als utopisch oder besonders pessimistisch ausgelegt. Aber wenn man sich jetzt so die Gesellschaft – 10 Jahre später – anguckt, dann nehmen wir jetzt so Sachen hin, die damals undenkbar gewesen wären. Gerade wenn es um Kontrolltechnologien geht, wenn es um mehr Sicherheitsvorkehrungen an Flughäfen geht. Da lassen Leute Sachen mit sich machen, die sie vor 10 Jahren komplett abgelehnt hätten.

Die eigentliche Gefahr ist, dass solche Entwicklungen stufenweise passieren. Ab einem bestimmten Punkt merkt man als Individuum, dass man sehr unfrei ist und sich eigentlich nur noch in fast vorgefertigten Bahnen bewegen kann. Das greift auch ganz tief ins Privatleben rein – was sich viele nicht so ganz vorstellen können. Viele vergessen, wo das hinführt, wenn die falschen Leute die Sachen manipulieren. Da sind dann Gefahren für die Presse- und Meinungsfreiheit. Die Dinge die Atari Teenage Riot gesagt hat und sagt, werden deshalb immer aktueller. Es ist nicht vorrangig dazu gedacht, um zu provozieren. Es ist einfach unsere Meinung.

Wie authentisch ist die Rebellion von Atari Teenage Riot, wenn es auf der anderen Seite eine klassische Vermarktungsmaschinerie gibt. Ihr verkauft ja auch Tickets, Alben und T-Shirts. Wo ist da noch Rebellion?

Die Frage war ja immer schon, wie kann Musik im Kapitalismus einen kritischen Weg gehen ohne sofort ein Teil davon zu werden. – Meine Meinung war dazu immer schon ziemlich eindeutig und klar, dass im Kapitalismus alles verwertet und vermarktet wird.

Ich hatte mal eine Diskussion, als wir beim 1. Mai gespielt haben. Damals ging es um die Kosovo-Bombardierung. Das war das einzige Mal, dass wir beim 1. Mai mitgemacht haben, weil es darum ging: darf Deutschland bei Kriegen mitmachen oder involviert sein? Das war damals undenkbar – heute sind es ja viele gewöhnt, auch von Afghanistan. Wir haben damals gesagt, dass Deutschland, wenn überhaupt, nur eine friedliche Rolle spielen darf. Da wurde uns ja vorgeworfen: „Da kommt dann gleich die Single!“ – Dann muss ich auch fragen: Ok, macht jeder Demonstrant, der durch ein Foto läuft, was dann in der Berliner Morgenpost zu sehen ist, und der hat irgendwas von einer Sportfirma an Werbung? Weil immer irgendein Logo zu sehen ist?

Atari Teenage Riot hat sich immer selbst Grenzen gesetzt. Zum Beispiel haben wir gesagt: unsere Songs werden nicht an Werbeclips lizensiert. Das war eine Regel, die haben wir immer befolgt. Aber jeder Musiker muss selbst gucken, wo er die Grenzen zieht. Nur zum Beispiel: heutzutage wären Touren gar nicht mehr finanziell möglich, wenn man kein Merchandising hätte. Man kann jetzt nicht einer linken Punk-Band vorwerfen, weil sie T-Shirts verkaufen, um sich damit das Hotel oder die Unterkunft am Abend bezahlen und was zu essen kaufen zu können, dass das nun die große Vermarktungsmaschinerie ist. Dann würde man einfach alles was kritisch ist in unserer Gesellschaft ersticken.

Zurück zur Band – Wer hatte die Idee zur Reunion, wann und warum?

So legendär war es nicht, wie das zusammengekommen ist…

War schlicht die Kasse leer?

Nee, so war es nicht. Letztes Jahr haben wir eine Alec Empire-Tour durch Europa gemacht. Da sind wir auf CX Kidtronic getroffen, einem MC aus Brooklyn, der mit Saul Williams gearbeitet hat, bei Kanye West als DJ dabei war und auch Sachen mit den Nine Inch Nails gemacht hat. Eigentlich kommt der aus der Underground-Hiphop-Szene. Wir haben uns super verstanden und wollten eine Kollaboration machen. Da habe ich ihm zuerst einen langsamen, Hiphop-artigen Alec Empire-Track geschickt. Irgendwann im Sommer letztes Jahr rief er mich an und meinte, dass er eigentlich dachte, dass ich ihm einen Track mit 200bpm mit totaler verzerrter Bassdrum schicke. In der gleichen Nacht habe ich ihm noch schnell einen Track geschickt, er hat seine Vocals drüber gemacht. Ein paar Wochen später meinte er, er fände es genial, wenn Nic Endo noch Riot Girl-Vocals – so wie bei Atari Teenage Riot – drüber machen würde. Dann haben wir es gemacht und es war fertig. Es vergingen zwei, drei Monate und wir hatten nicht mehr weiter drüber nachgedacht.

Hanin Elias hat mich dann auf Facebook kontaktiert. Wir hatten uns ja acht Jahre nicht mehr gesprochen. Ich weiß ja nicht, ob die Geschichte so bekannt ist, wie es so abgelaufen ist am Ende bei Atari Teenage Riot. Am Ende war die Band komplett fertig. Wir haben soviel getourt, waren drei Jahre am Stück unterwegs, haben zwischendrin aufgenommen – und als wir dann mit Nine Inch Nails im Winter 1999 auf Tour waren, war die Band ausgebrannt. Die Shows waren ziemlich brutal und sehr noisy. Da gibt’s ja auch die Platte „Live at Brixton Academy„, wo die Band komplett am Tiefpunkt angelangt war. Hanin Elias hatte die Show gar nicht mehr mitgemacht und hatte die Band verlassen. Wir waren mit der Situation konfrontiert: wir mussten trotzdem die Show spielen, obwohl Carl Crack Probleme mit seiner Gesundheit hatte, ich hatte eine ziemlich heisere Stimme. Wir mussten uns innerhalb von drei Stunden entscheiden, wie wir die Show machen. Trent Reznor meinte: „Macht was Ihr wirklich wollt. Das wird auf jeden Fall gut.“ Weil er könne ja sowieso keine andere Band finden in der kurzen Zeit. Und dann haben wir wirklich vor 8000 bis 9000 Leuten nur Noise gemacht.

Wir wußten, wir mußten eine Pause machen und irgendwie nachdenken, wie geht’s weiter. Ein Jahr später wurde Carl Crack tot in seiner Wohnung in Berlin aufgefunden. Das hatte uns persönlich getroffen, dass dann keiner mehr daran gedacht hat: „Okay, wir machen jetzt anders weiter.“

Irgendwie war das Kapitel noch nicht wirklich geschlossen. Wir hatten eine neues Album angefangen, wir hatten eigentlich auch Amerika-Touren geplant, es hat sich so unfertig angefühlt. Dann war es jetzt so, das Hanin sich gemeldet hat und Frieden schließen wollte. (lacht) Dann haben wir gesagt: okay – spielen wir eine Show oder zwei. Für mich ist ganz klar, dass das eine einmalige Sache bleibt und wir jetzt nicht bis an’s Ende touren. Dann kam noch die Nachfrage für das Berlin Festival und da haben wir gesagt, das machen wir auch noch. Wenn wir in London spielen, dann müssen wir auch in Berlin gespielt haben!

Heißt das, das nach dem Berlin Festival Schluß ist mit Atari Teenage Riot?

So ist es derzeit geplant. Es gibt keinen Masterplan, dass wir das wie andere Reunion-Bands drei oder fünf Jahre durchziehen. Ich habe auch ganz andere Sachen im Ohr – und alle anderen auch. Wir machen das als Statement und Herausforderung. Die Technologie hat sich schließlich weiterentwickelt und da kann man heutzutage viel weiter gehen. Das fand ich spannend. Was im Laufe der Vorbereitung hochgekommen ist: es ist eher eine Art Update von Atari Teenage Riot – nicht ein Reunion im klassischen Sinne („Wir kommen jetzt zusammen und spielen noch mal all die alten Songs ein letztes Mal und dann Tschüss.“)

Es ist eher eine Art Update von Atari Teenage Riot – nicht ein Reunion im klassischen Sinne.

CX Kidtronic hat sich nochmal mit den Songs auseinandergesetzt. Und sagte: in den Tracks singt Carl Crack über den Rassismus in Berlin nach dem Mauerfall in den 1990ern. Für jemanden, der damals nicht dabei war, ist es absurd, so etwas einfach nur nachzusingen. Da haben wir gesagt: okay, dann schreib deine eigenen Parts, CX, wie du das siehst und woher du kommst! Er war früher bei der Nation of Islam in Amerika, wo auch Public Enemy waren, hat sie dann verlassen und hat eine ganz besondere Sichtweise auf Obama. Er kann Amerika, wie es heute ist, ganz anders kritisieren als wir es aus Deutschland machen könnten. Da wird es für mich wirklich spannend. Er bringt etwas in die Gruppe, was vorher einfach nicht so da war, was aber auch so aktuell und wichtig ist, jetzt darauf Bezug zu nehmen.

Natürlich ist die Band anders als sie damals war: Carl ist nicht dabei, CX ist neu, viele Soundmöglichkeiten ergeben sich neu. Ich finde, man muß das halt in den Kontext unserer Zeit setzen, sonst wär’s auch gegen die eigentliche Idee von Atari Teenage Riot.

Der Track „Activate“, der vorab durch das Netz geschickt wurde, klingt aber schon so nach Atari Teenage Riot-Zeug von vor 10 Jahren.

Das ist halt Atari Teenage Riot! (lacht)

War das noch ein Track, der noch auf der Festplatte war?

Nee, nee – den haben wir komplett neu gemacht. Es war für mich auch eine spannende Sache. Wir haben den ganz schnell gemacht – in einer Nacht und dann war das Ding fertig. Für mich war das spannend, weil ich in den letzten zwei Jahren viele Filmsoundtracks gemacht. Da hat man unendlich viele Spuren, viele Instrumente und komplexe Mixe. Da fand ich sehr erfrischend zu sagen: Wir nehmen genau das Equipment für den Song „Activate“, was wir damals benutzt haben. Also: eine Drum Machine, den alten Sampler und den Atari. Für heutige Verhältnisse ist es lustig, wenn man sich überlegt: „Ich habe zwei Sekunden Zeit im Sampler, muss damit auskommen und muß daraus was machen.“ Heute hat man ja hingegen unendlich viel Speicherplatz und eigentlich keine Limits mehr, was das angeht. Das war ein Ansatz, den ich lange nicht mehr verfolgt habe und der Spaß gemacht hat.

Letzte Frage zum kommenden Album, was ja dann sicherlich anstehen wird. Wann kommt’s und was erwartet den Hörer?

Du bist da schon sehr weit vorausgegangen. Ich weiß, ich habe neulich in einem Interview gesagt, dadurch dass noch viele Sachen ungesagt sind, könne ich mir ein neues Album vorstellen. Aber noch haben wir das nicht entschieden. Es gibt aber schon mehr Tracks als „Activate“. Wir werden die Sachen teilweise auch mal live testen und sehen. Kann sein, dass wir nach den Shows direkt ins Studio gehen, einfach die Energie mitnehmen und Sachen aufnehmen. Aber wie gesagt – es gibt kein Masterplan, wo wir sagen „Hey, neue Releases Anfang Oktober und es kommt über diesen Vertrieb…“ – Kann sein, dass wir ein Album machen und es einfach ins Netz stellen! Das ist so noch nicht entschieden.