Viel schon wurde gesagt, gezeigt und geschrieben über die Mauer, die Berlin einst teilte. So allerdings haben wir sie noch nie gesehen: als überdimensionierten Gartenzaun für ein riesiges Kaninchengehege. Das klingt jetzt, zugegeben, ein wenig seltsam, ist aber eine durchaus schlüssige Idee, die in der deutsch-polnischen Dokumentation „Mauerhase“ einfach brillant umgesetzt wurde – völlig zurecht war der gut vierzigminütige Film in diesem Jahr für einen Oscar nominiert. Auf dem aktuell laufenden „achtung berlin“-Festival wird er an diesem Wochenende drei Mal gezeigt (Termine siehe unten).
Tatsächlich kam es während der 28 betongrauen Mauerjahre auf dem damaligen Todesstreifen, dessen kurz gehaltener Rasen ja ständig von Soldaten bewacht wurde, zu einem interessanten Phänomen: aus einigen Kaninchen, die der „Schutzwall“ zwischen den Welten eingesperrt hatte, entwickelte sich im Laufe der Zeit eine mächtige Sippschaft, die bald den ganzen Grüngürtel um Westberlin bevölkerte. Deren Geschichte wird erzählt, als wäre sie ein Märchen – von 1961 über die Wende (die endlich mal aus einer anderen, ungewohnten, nicht minder schönen Perspektive gezeigt wird) bis zur Zeit danach, der Zeit der plötzlichen Freiheit und der verwirrenden Möglichkeiten, spannt sich die Geschichte der Mauerhasen als stimmige Metapher über die Geschichte der Menschen.
Dass diese Idee funktioniert, ist vor allem der intelligenten Erzählweise und der hervorragenden Machart geschuldet. Die Bildmischung lässt Filmausschnitte aus verschiedenen Quellen zu einem atmosphärischen Panorama verschmelzen, die leise Musik illustriert zurückhaltend und präzise. Man liegt quasi neben den Kaninchen im Gras und beobachtet mit ihnen, wie die seltsamen Menschen Stacheldraht einziehen. Man fragt sich, was das alles soll. Und erschrickt mit ihnen, als es irgendwann plötzlich knallt.
Denn wenngleich das Einzäunungstreiben, durch Hasenaugen gesehen, zu Anfang noch wirkt wie der sonntägliche Betrieb in einem Kleingartenverein (wobei Honecker folgerichtig als Grünflächenwart vorgestellt wird), wird hier keineswegs etwas verniedlicht oder beschönigt. Auf der gewählten Ebene wird die Geschichte konsequent in allen Facetten erzählt – und zeigt damit an erschreckend vielen Stellen ihren Wahnwitz und die Sinnlosigkeit eines Konfliktes, der eigentlich nur in unseren Köpfen herrschte. „Mauerhase“ zeigt auf beeindruckende Weise, wie klar etwas werden kann, wenn man es nur mal durch andere Augen zu sehen versucht – und seien es die von Kaninchen.
Mauerhase / Es sind noch Berge draußen (Doppelfeature)
- Fr., 16.04., 18:00 Uhr im Filmtheater am Friedrichshain 2
- Sa., 17.04., 22:30 Uhr im Babylon Mitte 2
- So., 18.04., 22:00 Uhr im Babylon Mitte 3
Weitere Informationen zum Festival findet ihr bei BLN.FM oder auf der Festival-Website.