Die Ureinwohner Amerikas – nennen wir sie der Einfachheit halber Indianer, was kümmert uns diese ewige Korrektheit – sind nun wirklich der letzte Abschaum. Verschlagen, kampflustig und egoistisch machen sie den weißen Siedlern, die nun wirklich für jeden einsichtig die überlegene Rasse sind, das Land streitig. Das wertvolle Land, das den Weißen von Gottes Gnaden zum Besitz gegeben wurde. Sie führen absurde Tänze auf und lachen dabei über unsere Zivilisation. Machen wir es kurz: Nur ein toter Indianer ist ein guter Indianer. Das stimme in neun von zehn Fällen, und über den zehnten sei er sich nicht so sicher. Das hat US-Präsident Theodore Roosevelt gesagt. Im Jahr 1886.
Puh, Durchatmen. Zum Glück haben wir 2010 und Obama, und natürlich war das zuvor Geschriebene Provokation und keine von uns (oder sonst wem mit klarem Verstand) vertretene Meinung. Doch ist der vorangegangene Absatz eine Collage aus historischen Zitaten und somit Spiegel eines mörderischen Zeitgeistes, der tatsächlich einmal geherrscht hat. Macht wütend, nicht wahr? Dass sich Menschen – darunter Schriftsteller und Würdenträger, bis hin zum Präsidenten – derart über andere Menschen öffentlich äußern durften, kann einen nicht kalt lassen. Die Zitate sind Teil einer großen Installation des amerikanischen Künstlers Jimmie Durham, die einen wesentlichen Bestandteil der aktuellen „Wut“-Ausstellung im Haus der Kulturen der Welt darstellt.
Die Ausstellung wiederum ist Teil eines „Festivals“ (sofern dieser Begriff zum Thema passt): „Über Wut“ hat bereits Mitte März begonnen, geht aber noch bis Anfang Mai und beinhaltet Lesungen, Performances und Filmvorführungen. Die Bandbreite der Beiträge reicht von Mainstream-Highlights wie „Fight Club“ über Fassbinders „Warum läuft Herr R. Amok?“ und Lesungen wie „Der Hass auf den Westen – Bruchstellen globaler Gerechtigkeit“ von Jean Ziegler bis hin zu Veranstaltungen wie der „Gesprächsperformance“ mit dem oben erwähnten Jimmie Durham und Mick Taussig (29.04., 19h00). Den Abschluss der Reihe bildet ein mehrtägiger „Wut-Gipfel“ (ab dem 07.05., 19h00). Das gesamte Programm findet sich auf der Projekt-Website des HKW.
Zurück zur Ausstellung: Gegenüber der „Indianer“-Installation ist ein „Klassenzimmer“ eines polnischen Künstlers zu sehen, in dem ein einsames Kind sitzt. Die Szene wird im Ersten Weltkrieg verortet. Daneben läuft die Video-Endlosschleife einer Zahnarztbehandlung. Gegenüber eine hübsche, aber aus billigstem Material gefertigte Kopie des babylonischen Ischtar-Tores (das im Pergamon-Museum steht) – so eine Kopie gibt es wirklich, sie dient als Fotokulisse für US-Soldaten in Bagdad. Zahlreiche Video- und Audioinstallationen, Zeichnungen und eine große Auswahl von Literatur ergänzen das Spektrum.
Schnell wird klar: Wut, Gewalt, Schmerz, Trauer, Krieg, Unterdrückung – all das gehört irgendwie zusammen, genauer: läuft irgendwie zusammen, und zwar in uns selbst, in jedem von uns. Jeder kennt Wut, und jeder muss auf seine Weise wissen, wohin damit. Durham stellt neben jedes seiner Zitate einen Spiegel, sodass wir beim Lesen gezwungen sind, uns selbst anzusehen. Sind wir besser? Oder lauert auch in uns solches Potential, wenn uns jemand reizt, uns richtig wütend macht? Wie weit würden wir gehen, wenn es darauf ankommt?
Die zentrale Frage, die „über Wut“ gestellt wird, sucht nach dem Verhältnis zwischen eben jener persönlichen Empfindung und dem verheerenden kollektiven Zorn, den unsere Gesellschaften erzeugen, indem sie ständigen Druck auf ihre Mitglieder ausüben. Wir sollen funktionieren, sollen produktiv sein und sozial, sollen konsumieren und uns zwischendurch auch noch erholen – und sollen uns bei alldem nicht anmerken lassen, welcher Druck auf unseren Schultern lastet. Wenn man dann kein Ventil hat, bricht sich die Wut eben irgendwie Bahn.
Zwar wird auch die Themenreihe im HKW keine Spannungen nehmen – aber sie kann uns dazu anregen, eine elementare, mächtige Emotion unter neuen Gesichtspunkten zu sehen. Und das ist verdammt noch mal ziemlich wichtig.
„Über Wut“: Themenfestival vom 14.03. bis zum 09.05.2010 im Haus der Kulturen der Welt, John-Foster-Dulles-Allee 10, Berlin-Tiergarten, U-Bahnhof Bundestag oder S+U-Bahnhof Hauptbahnhof.
Die Ausstellung ist mittwochs bis montags geöffnet, jeweils von 11 bis 19 Uhr. Montags ist der Eintritt frei.