Die Teenager Hassan, Lial und Maradona wohnen in Berlin-Neukölln. Eigentlich sind sie so wie andere ihres Alters. Doch da ist etwas anders und das bestimmt ihr Leben: In ihrer Familie besitzt niemand den deutschen Pass. So müssen alle regelmäßig beim Amt um Erlaubnis fragen, ob sie weiter in Deutschland bleiben können. Das Risiko, in den für sie fremden Libanon abgeschoben zu werden, hängt immer wieder als dunkle Drohung über der Familie. Um endlich dauerhaft den Pass zu vergeben, stellt der deutsche Staat Bedingungen.
Die Kamera des Dokumentarfilms „Neukölln Unlimited“ (Kinostart 8. April) begleitet Hassan, Lial und Maradona über Monate dabei, wie sie versuchen den Alltag zu meistern und den Anprüchen gerecht zu werden. Sie wollen genug Geld auftreiben, um ohne Sozialamt leben zu können. Schule und Ausbildung sollen abgeschlossen werden. Außerdem wollen sie etwas aus ihren Talenten machen: Maradona, Hassan und Lial singen und breakdancen. So bewegt sich die Dokumentation von Agostino Imondi und Dietmar Ratsch zwischen dem soziokulturellen Zentrum Manege und dem Berliner Varieté Wintergarten, zwischen der HipHop-Disko und den Kulissen eines Boxstalls, zwischen der hypermännlichen Inszenierung in Gangs und der feminin anmutenden Ästhetik von Tanz. Er gibt denen, über die immer geredet wird, eine eigene Stimme.
Kinostart in Berlin ab 8. April 2010
Interview mit Hassan Akkouch und Dietmar Ratsch
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Ausschnitt und Zusammenfassung:
Wen wollt Ihr mit dem Film ansprechen?
Dietmar: Als wir von der Geschichte gehört haben, waren wir überzeugt, dass damit ein breites Publikum angesprochen werden kann, sowohl Jugendliche als auch Eltern und Politiker. Wir haben gesehen, dass es ein gesellschaftlich relevantes Thema ist, aber auch eins, was man unterhaltsam im Kino über 90 Minuten als Dokumentarfilm erzählen kann.
Wir wollen erreichen, dass der Film eine neue Diskussion anregt über die Situation der Langzeitgeduldeten. Und wir wollen zeigen, was es für ein Wahnsinn ist, eine Familie immer wieder von Abschiebung bedrohen zu lassen, die schon über 15 Jahre in Deutschland lebt und völlig integriert ist.
Wie präsent ist die Gefahr der Abschiebung in Deinem Alltag, Hassan?
Hassan: Man hat gelernt, mit der Angst zu leben. Immer kurz bevor die Duldung verfällt, bevor man wieder zur Ausländerbehörde gehen muss, fängt es wieder an. Dann redet meine Mutter immer über das Thema, macht sich Sorgen und geht zum Anwalt. Bei mir ist es eher weniger, weil ich einen Aufenthaltsstatus habe.
Für wieviele andere Familien steht diese Familie?
Dietmar: Es ist auf keinen Fall eine Einzelschicksal. Das Besondere daran ist die Tatsache, dass es seitens der Politik die Möglichkeit gibt, eine Familie auseinanderzureißen. Das man sagt: Ihr könnt hierbleiben, aber der Rest der Familie muß gehen. Was sich dann in den Menschen, die hier bleiben „dürfen“, anstaut, was für eine Wut und Aggression, dieses Nicht-Gewollt-Fühlen, das ist so ein hartes Schicksal.
Wie besonders ist Deine Familie, Hassan?
Hassan: Wir sind gar nicht besonders, sondern nur ein Beispiel von über hunderttausend Flüchtlingen, die permanent von Abschiebung bedroht sind. Abschiebung, auch illegal durch den Staat, gibt es immer noch – und ist deshalb ein Alltagsthema. Vielleicht sind wir ein gutes Beispiel für die gelungene Integration einer libanesischen Familie, die in Neukölln wohnt. Es gibt viele, die nicht so gut integriert sind – vielleicht können wir durch den Film zeigen, dass es auch anders geht. Dass man hier auch leben kann und trotzdem seine Herkunft bewahren kann.
Wie besonders seid Ihr, weil ihr künstlerisch unterwegs und politisch aktiv seid?
Hassan: Unsere Einstellung ist gar nicht so häufig in Neukölln. Viele denken noch sehr traditionell. Deshalb wird man uns in Neukölln immer wiederfinden. Jeder kennt uns in Neukölln: Wir sind halt die Brüder, die Breakdance machen. Der eine heißt Maradona, und der andere ist Maradonas Bruder. Wir kennen viele, die tanzen und Kunst machen. Aber der Unterschied liegt nicht darin, wie wir leben, sondern eher in der Einstellung – dass wir uns anpassen an die deutsche Gesellschaft.
Aber nicht nur, oder? Du sprichst ja auch auf Demos zum Nahostkonflikt.
Hassan: Der Nahostkonflikt ist ein Thema, das die Welt berührt. Und auch wenn ich nicht arabisch oder türkisch wäre oder kein Immigrant, ich würde zur Demo gehen und für Frieden kämpfen, weil das nichts mit Kultur und Herkunft zu tun hat, sondern mit logischem Denken, Verstand und Menschenrechten. Man hat im Film viele Leute gesehen, die für den Frieden in Gaza protestieren, die aber zu Hause ganz den Traditionen folgen und sich nicht anpassen wollen. Aber das sind zwei verschiedene Welten für mich.
Was bedeutet es Dir, einen deutschen Pass zu bekommen?
Hassan: Ganz ehrlich, darüber habe ich schon häufig nachgedacht. Man kämpft die ganze Zeit darum hier zu bleiben und vielleicht auch eingebürgert zu werden. Aber – am Ende ist es so: Die deutsche Staatsbürgerschaft würde mir bringen, dass ich bei verschiedenen Ländern kein Visum mehr brauche. Das ist der einzige Vorteil, den ich hätte. Das ist halt so: Man kämpft die ganze Zeit darum, doch am Ende denkt man darüber: „Wozu eigentlich?“ Mir reicht es schon, wenn ich hier bleiben darf.
Die Protagonisten erzählen ihre Geschichte selbst, aber dennoch wird nichts beschönigt. Maradona ist ja ein „Problem-Teenager“…
Dietmar: Es war für uns ein Glücksfall, dass die Konstellation in der Familie so spannend ist. Da ist Hassan, da ist Lial, und da ist Maradona, der noch etwas jünger ist und auf die schiefe Bahn kommt, aber doch dann noch die Kurve kriegt. Alle ziehen letztendlich an einem Strang, jeder auf seine Weise, jeder mit seinen Abgründen.
Wieviel Tage habt Ihr die Familie begleitet?
Dietmar: Wenn Hassan das beantworten würde, dann würde er sagen: gefühlte tausend Tage rund um die Uhr. Aber es war nicht so. Es ist natürlich so, dass man jeden Tag in Kontakt steht: Was macht ihr heute so, ist das relevant für unseren Film, und dann entscheidet man sich oft spontan. Wir müssen halt jeden Tag Stand-by sein, um dann zu entscheiden: Wir fahren mal kurz hin, drehen die Situation, drei, vier Stunden vielleicht, und nachher gehen wir wieder und verabreden uns neu. Wir waren ja nicht 24 Stunden dort vor Ort.
Welche Wünsche habt Ihr für den Film?
Dietmar: Der Film soll natürlich ganz viele Leute ansprechen und aus Berlin auch auf ganz Deutschland überschwappen. Man sollte nicht meinen, dass das nur ein Berliner Phänomen ist. Es passiert in Deutschland überall, ja sogar europa- und weltweit. Die ersten Reaktionen des internationalen Publikums auf der Berlinale zeigten auch, dass es überall eine Relevanz hat. Und dann wünsche ich mir natürlich, dass er Junge und Alte anspricht und in Schulen diskutiert wird. Wir wollen mit unserem Film gern was verändern – natürlich im Kleinen: man kann ja die Welt im Ganzen nicht verändern, aber vielleicht können wir Akzente setzen.
Hassan: In erster Linie hoffe ich natürlich, dass der Film etwas an unserer Situation ändert und wir einen Aufenthaltsstatus bekommen. Dass Herr Körting (Berlins Innensenator, der den Härtefallantrag der Familie entgegen der Empfehlungen der Kommission abgelehnt hat, d.R.) sieht, dass er einen Fehler gemacht hat und dass es nie zu spät ist sich zu entschuldigen. Und natürlich, dass der Film ein großer Erfolg wird.