Memory Tapes: Im Keller mit Internet-Anschluss

Memory Tapes

 

Wie es sich für einen Hype gehört, war anfangs nicht klar, wer hinter den abgefahrenen Elektropop-Tracks und Remixen steckte, die von Memory Tapes alias Memory Cassettes alias Weird Tapes auf einem geheimnisvollen, unscheinbaren Blog veröffentlicht wurden. Sie versetzten Musikfans in helle Aufregung.  Bis letztes Jahr die Musik-Seite Pitchfork aufdeckte: Hinter all den Namen verbirgt sich Dayve Hawk, in eigenen Worten „irgendein Typ aus New Jersey“, ein 28-jähriger Elektronikbastler, der angeblich nicht mal ein Handy besitzt.

Seit jungen Jahren bastelt der introvertierte Musiker an seinem ganz speziellen Dreamwave-Elektropop-Sound und verbreitete die Songs über sein Blog Weird Tapes.  Letzten Sommer lief dann die amerikanische Blogosphäre heiß, nachdem Memory Tapes neben eigenen Veröffentlichungen auch Remixe für die Yeah Yeah Yeahs, Michael Jackson und Britney Spears gefertigt hatte. Mehr oder wenig zufällig brachte er zu diesen Zeitpunkt seinen ersten Longplayer „Seek Magic“ auf den Markt. Kurz darauf folgte mit „Bicycle“ eine Single-Auskopplung.

Interview mit Memory Tapes (English, March 2010):

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Kannst Du Deinen Sound in wenigen Worten beschreiben?

Eigentlich nicht – es ist ein Hybrid aus einer ganzen Reihe von Dingen: Elektronika, Rockmusik und ein paar Dance-Einflüsse.

Wie ist Dein musikalischer Werdegang?

Ich begann als Schlagzeuger, als ich 9 war. Mit 13 begann ich Gitarre zu spielen, weil ich selber Lieder schreiben wollte, und fing an im Keller Songs aufzunehmen. Als Teenager machte ich jede Menge Musik, die als „Memory Cassette“ herauskam, bevor ich einige Sachen als „Weird Tapes“ machte. Alles kursierte auf Blogs und im Netz. Irgendwann kontaktierten mich  Musiklabels – und da entschloss ich, beide Namen zu einem neuen zu kombinieren.

Wie kamst Du auf den Namen?

Der erste Name war “Weird Tapes”. Ich habe den von Hawkwind (eine der wichtigsten Space-Rock-Bands), die eine meiner Lieblingsbands sind. Jeder Name danach war eine Fortsetzung und Variation von „Tapes“.

Überall wird erwähnt, dass Du kein Telefon und keinen Führerschein hast. Wie lebst Du eigentlich?

Ich lebe im südlichen Teil von New Jersey. Am nächsten dran ist Philadelphia. Ich kenne nicht wirklich viele andere Musiker – ich arbeitete immer allein.

Und warum hast Du kein Telefon?

(lacht) Ich habe eine Menge Musikinstrumente. Aber davon abgesehen bin ich ein wenig unpraktisch. Ich kann nicht Auto fahren, ich habe kein Telefon – und ich habe keine wirklich gute Antwort darauf, warum das so ist.

Wenn Du die ganze Zeit für Dich im Keller werkelst – woher bekommst Du dann die Inspiration für Deine sommerliche Musik?

Von der Zeit, als ich ein Kind war. Musik ist etwas, was mich glücklich und euphorisch macht – selbst wenn ich für mich allein bin. Ich liebe Musik und deshalb wird sie positiv.

memorytapes-graphics

Du hast mal gesagt, dass Du selbst ohne Plattenvertrag Musik machen würdest. Was bedeutet Musik für Dich?

Mir ist das Musikgeschäft ziemlich egal. Für die USA habe ich bei keinem Label unterschrieben, anderswo gibts auch nur wenige. Es gibt ein bisschen Verstreutes hier und da in verschiedenen Ländern. Ich glaube, dass das Internet Labels überflüssig macht. Denn du kannst einfach deine  Musik herausbringen! Klar ist es nicht einfach davon zu leben – aber für mich ist das nicht meine Motivation. Die Musik und meine Tochter sind die einzigen Dinge, die mich interessieren – und mit denen ich mich auskenne.

Du verschenkst Deine Musik auf Deinem eigenen Blog – und sie wurde zu einem kleinen Hype im Netz und auf verschiedenen Blogs. Hast Du eine spezielle Beziehung zum Internet und zu dieser neuen Art, Musik zu veröffentlichen und zu finden?

Ich war ein ziemlicher Spätzünder dabei, das alles zu entdecken. Erst kürzlich habe ich andere Blogs bei der Suche nach seltenen Tracks entdeckt. Als ich sie gesehen habe, dachte ich: „Sowas ist perfekt für einen Künstler.“  Mit einem Blog kann man einfach seine Musik hergeben. Menschen können sie einfach bekommen ohne mit Labels oder Myspace zu tun haben zu müssen. Mein Blog startete ich zuvor eigentlich nur für Freunde, die in andere Gegenden gezogen sind. Erst danach fanden MP3-Blogger meine Tracks und verteilten sie im Netz. Das alles passierte wie von allein. Deshalb weiß ich nicht viel über die  nützliche Technik dahinter.

Außerdem hast du Remixe für die Yeah Yeah Yeahs, Michael Jackson und Britney Spears gemacht. Wie ist es dazu gekommen?

Die Remixe waren Aufträge, und für sowas bekomme ich jede Menge Anfragen von Künstlern und Labels. Der für Britney Spears kam zustande, weil ich nahe Philadelphia wohne und dadurch einige der Leute von Mad Decent (Diplos Label, d. R.) kenne.  Die brauchten einen Remix innerhalb von zwei Tagen und ich sagte zu.

Ich habe von Deiner Remix-Verschwörungstheorie gehört – was besagt die?

Vielleicht bin ich bloß paranoid. Aber ich kenne eine Menge junger DJs oder Produzenten, die von Labels beauftragt werden, einen Remix zu fertigen. Danach sagen die Labels plötzlich: „Nein – irgendwie passt uns das ganz nicht mehr.“ Sie bezahlen den Produzenten nicht mehr für seine Arbeit. Die Kids werden die Remixe auf ihre Blogs packen – und schon haben Labels kostenlose Promotion.

Memory Tapes: Seek Magic

Kurz mal zu „Seek Magic“ – wie ist Deine erste richtige LP zustande gekommen?

Mein Weird-Tapes- und Memory-Cassettes-Zeug wurde mit der Zeit ein bisschen langweilig. Ich nutze die ganze Zeit meine alten Demos und eine Menge Samples. Irgendwann war ich es leid – ich wollte einfach ein Platte ohne Samples machen. Außerdem wollte ich meine Anstrengungen auf eine ganz bestimmte Sache konzentrieren. Als die Label Sincerely Yours und Acéphale auf mich zukamen, kam es dann also zu dem Album.

Dies ist Dein erstes Konzert in Deutschland. Bist Du gern auf Tour?

Ich bleibe wirklich lieber zu Hause. Reisen ist schon okay, es ist cool andere Länder anzuschauen. Aber ich vermisse meine Tochter. Und es hält mich davon ab Musik zu schreiben und aufzunehmen und das ist das, das was ich wirklich tun möchte. Nach der Tour durch Europa fahre ich zu South-by-Southwest nach Texas und im April ist alles vorbei. Bis zum Ende des Jahres werde ich dann meine nächste LP fertigstellen.

Post Scriptum

Dayve Hawk PrivatclubNach dem kurzen Interview mit dem schüchternen, aber sympathischen Dayve Hawk war ich gespannt,  Memory Tapes im Privatclub in Kreuzberg live zu sehen. Doch ganz ehrlich – das Konzert war ein wenig enttäuschend. Unterstützt von einem Schlagzeuger und Sounds aus der Konserve spielte Hawk ein 30 Minuten-Set, bis er sich mit einem knappen „Thank you Guys“ verabschiedete und ziemlich schnell verschwand.

Letztendlich bestätigte der etwas lustlose Auftritt von Dayve Hawk nur eine seiner Aussagen im Interview zuvor. Hawk ist einer dieser sympathischen Musik-Nerds, die nicht so richtig verstehen, warum jetzt plötzlich alle so einen Aufstand machen und irgendwelche Label-Leute von Tour und Marketing quatschen. Er liebt die Musik über (fast) alles. Man sollte sich den Namen Dayve Hawk alias Memory Tapes unbedingt merken – aber dass aus ihm noch ein legendärer Live-Act wird, ist nicht abzusehen.