Fotos aus dem Wedding: Runtergerockt, widerspenstig, ehrlich

Der Wedding: Arbeiter-Bezirk, Spielhölle, sozialer Brennpunkt, Alternative für Studenten, die sich die Wohnung im Prenzlauer Berg nicht leisten können. Dass die Gegend um den Bahnhof Gesundbrunnen zum neuen Trendbezirk wird, darauf warten wir trotz wiederholter Ankündigung noch heute. Denn spätestens seitdem das Stattbad dicht gemacht hat (BLN.FM berichtete), verschwand der Bezirk wieder vom Radar zahlreicher Trendsetter. So schnell verschlägt’s einen halt nicht mehr in den „Norden“ Berlins.

Und wie lebt’s sich so außerhalb von Party und Kunstbetrieb? Die Macher des Magazins Der Wedding sind zusammen mit den Fotografen der renommierten Agentur Ostkreuz durch den Stadtbezirk gefahren, um die Frage zu beantworten. Entstanden ist daraus ein Fotobuch, das auf über 200 Seiten den Stadtteil in all seinen Facetten darstellt. In 16 Stories schauten die Fotografen in die verborgenen Ecken Weddings: Kneipen, Moscheen, Künstlerateliers und einen Boxclub. So entsteht ein umfassendes Portrait eines Berliner Bezirks, der arm und nicht immer sexy ist.

Berlin-Wedding hat nicht nur ein ganzes „afrikanisches“ Viertel, in dem afrikanische Länder und Kolonialherren als Namensgeber stellen, auch ein großer Teil der afrikanischen Community wohnt hier. In „Black Wedding“ lichtet Espen Eichenhöfer die Community ab, die über 5000 Menschen zählt.

 

In der Berliner Innenstadt sind sie mehr und mehr verschwunden, im Wedding gibt es noch einige davon: die alteingesessene Eckkneipen: verraucht, mit billigem Bier und dem Gepiepse der Spielautomaten. Annette Hausschild schloss für ihre Serie „Last Days of Disco“ Bekanntschaft mit den Stammgästen des Café Morena und des Kugelblitz.

 

Wedding ist reich an Kindern. Aber die meisten Familien sind arm. Im Wartezimmer einer Kinderarztpraxis baute Dorothee Deiss ein kleines Studio auf und fotografierte „Weddings Kinder“.

 

Ur-Weddinger gaben Ina Schoenenburg Einblick in ihre Wohnzimmer.

 

Märkte, bunte Reklame, spielende Kinder – tagsüber ist der Wedding bunt, chaotisch, laut. Heinrich Völkel konzentriert sich in seinen Fotografien auf die seltenen Momente der Ruhe. Nachts, ohne Menschen und Autoverkehr zeigt er, was in der alltäglichen Betrachtung meist untergeht: Weddings Architektur des Wohnens und Arbeitens.

 

Es ist ein Paradox: die ärmsten Gegenden besitzen die höchste Dichte an Spielhallen. In Wedding sind sie an S-Bahnhöfen zu finden, neben Nagelstudios und Blumenläden – überall lockt die kleine Chance auf das große Glück, das anders unerreichbar ist. Andreas Muhs bunte Collage der Weddinger Spielhallen trägt den Titel „Las Wedding“.

„Berlin-Wedding – Das Fotobuch“, Kerber-Verlag, 236 Seiten. 40 €, erhältlich ab 01.07.2017 (Hier kaufen)