Es war 1958, als mit Daphne Oram eine Frau als Studioleiterin des „BBC Radiophonic Workshop“ Wegweisendes zustande brachte. Im Klanglabor des britischen Radiosenders experimentierte sie mit den ersten Formen synthetisch erzeugter Klänge und Aufnahmetechniken. Ein Ohrwurm, der aus dieser Klangschmiede stammt, ist Delia Derbyshires Titelmusik zur Science Fiction-Serie “Dr Who”. Diese verwendete – für diese Zeit revolutionär – keinerlei akustische Instrumente. Stattdessen bestand sie einzig aus aufwendig zusammengeschnittenem, durch Verlangsamung und Beschleunigung des Tonbandes in die richtige Tonhöhe gepitchtem Klangmaterial. Derbyshire schleuste dazu weißes Rauschen und Sinustöne durch selbstgebaute Effektgeräte. Komponist Ron Grainer war klar, dass eigentlich erst die Umsetzung von Derbyshire – also der „Klang“ und nicht die harmonische Abfolge der Töne – das Einzigartige und damit den Erfolg dieses Musikstückes ausmachten. Fairerweise war er darum bemüht, auch Derbyshire ihre Credits zu geben. Leider scheiterte dies an der damaligen „Bürokratie“ des BBC.
Erst in neuerer Zeit wird Musikgeschichte mit frischem Blick aufgearbeitet und die Frauen kommen zu wohlverdienter Anerkennung. Das Festival „Wie es ihr gefällt“ unternimmt diese Art von Neuschreibung der Geschichte. Auch wenn ein Fokus ausschließlich auf Frauen schon für alle Beteiligten irgendwie seltsame Effekte hat. Die Frauen könnten sich „ausgestellt“ fühlen, so als wären sie nicht fünfzig Prozent der Bevölkerung, sondern so etwas wie Freaks. Und die Männer fühlen sich verständlicherweise ausgegrenzt. Doch sollte bei dem dabei eventuell entstehenden zwischengeschlechtlichen kommunikativen Bodennebel nicht vergessen werden, worum es letztlich geht: Ehre, wem Ehre gebührt. Schön wäre es, wenn man über so etwas gar nicht mehr reden oder schreiben müsste. Doch nach wie vor sind Frauen in der Wahrnehmung elektronischer Musik unterrepräsentiert – was nicht unbedingt den Tatsachen entspricht. Oder hattest Du vorher von Daphne Oram und Delia Derbyshire gehört? Es gibt diese weiblichen Pionierinnen und Vorbilder – von diesen wissen aber leider nur wenige. Und deshalb macht so ein Festival Sinn.
Vier Tage lang stellt man dort unter dem Titel „Wie es ihr gefällt“ Künstlerinnen vor, die Außergewöhnliches im Bereich elektronische Musik geleistet haben. Die schon erwähnte Daphne Oram zum Beispiel. Sie war nicht nur Studioleiterin, sondern selbst Komponistin. Überdies entwarf sie das Oramics – ein Gerät, das graphische Symbole in Klänge umwandelt. Weitere Künstlerinnen, die bisher eher nur Eingeweihten ein Begriff waren, werden auf diesem Festival präsentiert: Johanna Magdalena Beyer schrieb mit „Music of the Spheres“ wohl eines der ersten Musikstücke für elektronische Instrumente überhaupt – 1938! Ihr Gesamtwerk verstaubte bis dato leider zum größten Teil in Archiven – Laura Gallati führt es am Wochenende mit einem Moog-Synthesizer auf. Beatriz Ferreyra arbeitete mit dem „Musique concrète“-Künstler Pierre Schaeffer bei Vorformen von Aufnahmentechniken zusammen, die heutzutage als Field Recordings bezeichnet werden. Pauline Oliveros war 1961 maßgeblich an der Gründung des „San Francisco Tape Music Centers“ beteiligt und spielt das digitale Akkordeon. Für die Kontrabassistin Joëlle Léandre komponierte Ultra-Minimal-Komponist John Cage eigens Stücke. Laetitia Sonami (Foto) läßt mittels eines mit Sensoren ausgestatteten Handschuhs aus Bewegungen Klänge entstehen. Wirklich verrücktes Zeug gibt es auf diesem Festival mit den Kompositionen von Maryanne Amacher zu hören, die sich dem Phänomen der „dritten Klänge“ widmen. Das hat nichts mit Esoterik zu tun, sondern mit der menschlichen Anatomie: es handelt sich dabei um vom Ohr selbst ausgesandte Frequenzen, die sie durch ihre Kompositionen gezielt verstärkt. Wer also selbst Inspiration sucht, kann sie hier sicherlich finden – egal ob männlich oder weiblich.
Im ersten Teil des Festivals am 13. und 14. März werden ungefähr ein Dutzend Künstlerinnen vorgestellt, die als Pionierinnen die gesamte elektronische Musik geprägt haben. Den zweiten Teil, am 19. und 20. März, bestreiten Künstlerinnen von heute in der Maria am Ostbahnhof – unter anderem spielen dort Gudrun Gut (Mitglied von Malaria: „Kaltes Klares Wasser“) und AGF.
Sa 13.3. 20h Pfefferberg
- Johanna Magdalena Beyer (1888 Leipzig – 1944 New York) – „Music of the Spheres“ – Laura Gallati (Moog Synthesizer)
- Daphne Oram (UK 1925 – 2003) „Contrasts Essonic“ & „Costain Suite“ – Tonband (Lichtinstallation Ingrid Kerma)
- Maryanne Amacher (USA 1938-2009) Hommage „Head Rhythm 1 / Plaything 2“ – Tonband (Tanz Janine Schneider)
- Christina Kubisch (Berlin) „Travel“, Tonband, Deutsche Uraufführung
- Beatriz Ferreyra (Argentinien/Frankreich) „L’autre Rive“, Tonband, Deutsche Uraufführung
- Pauline Oliveros (USA) „Digidreams 2010“ , Digitales Akkordeon, Uraufführung
So 14.3. 20h Pfefferberg
- Laura Gallati /Franziska Welti (Berlin/Luzern) – „Schicht um Schicht“, Moog-Synthesizer & Stimme, Uraufführung
- Pamela Z (USA) „Baggage Allowance“ (work in progress, Auszug) u.a., vocals + electronics
- Joëlle Léandre & Maja Ratkje (Frankreich/Norwegen) – Kontrabass, vocals + electronics
- Laetitia Sonami (Frankreich/USA) vocals + electronics – „A Historical Moment on a Line Between A and B“ (2009)
Fr 19.3. 20.30h Maria am Ostbahnhof
Unter Strom – Mädchenzimmer, Cobra Killer, Angie Reed, Domina Dea Special
Sa 20.3. 20.30h Maria am Ostbahnhof
Unter Strom – Io Casino, Mico, Greie & Gut präsentieren „Baustelle“
Orte:
- Pfefferberg, Schönhauser Allee 176, U-Bahn: Senefelder Platz,
- Maria am Ostbahnhof, An der Schillingbrücke, S-Bahn Ostbahnhof