2016 zieht das Berliner Festival Pop-Kultur vom Berghain in die Neuköllner Clubs. Das Festival lockt vom 31.8.-2.9.2016 mit Konzerten von Mogwai, Zola Jesus, Liars und Brandt/Brauer/Frick Indie-Fans, die nicht nur gern Musik konsumieren, sondern auch gern über Inhalte reden. “Wir sind kein Festival für eine bestimmte Musikrichtung. Wir zeigen vor allem neue Sachen und Neuentwicklungen”, beschreiben die Organisatoren Katja Lucker und Christian Morin das Selbstverständnis des Festivals im Gespräch mit BLN.FM.
BLN.FM: Was ist das Besondere am „Pop.Kultur“-Festival, das mit ungefähr 600.000 Euro großzügig von Stadt und EU unterstützt wird?
Katja: In der Kombination, wie wir es das machen, gibt es sowas wie „Pop-Kultur“ weltweit noch nicht – weil wir ein großes Nachwuchsprogramm haben und Themen kombinieren, die es so noch nicht gab: zum Beispiel Talks zu Depressionen in der Popmusik und Pop und Behinderung. Das sind Themen, die sich nicht das hundertste Mal um die Musikindustrie drehen – wie sie mal war und wie sie sein könnte. Wir gehen an Themen, die mal ein bisschen weh tun.
Christian: Wir haben dieses Jahr versucht, den Fokus nicht nur anglo-amerikanisch zu setzen, sondern zu erweitern. Das ist auf den Festivals hierzulande noch gar nicht so üblich. Aber wenn du dir in England die Sachen von Gilles Peterson anschaust, ist das ganz normal: Ganz viele Leute aus dem Elektronik- und Punk-Umfeld machen da was mit Leuten von afrikanischen Bands. Dieses Crossover ist viel normaler und hier ist das immer noch getrennt. Da probieren wir einen Anfang zu setzen bei „Pop-Kultur“ 2016.
„Wir wollen nicht das hundertste Mal von der Musikindustrie reden.“
BLN.FM: Eigentlich sollte das Festival an die Stelle der gescheiterten Musikmesse „popkomm“ treten. Doch im Programm steht das Musikgeschäft nicht im Vordergrund, eher wird über schöngeistige Themen geredet.
Katja: Auf hundert anderen Veranstaltungen, die es weltweit gibt, spricht immer die Musikindustrie mit der Musikindustrie über die Musikindustrie. Ich finde es interessanter über und mit denen zu reden, die diese Kunst betreiben. Ich glaube, dass das auch zunehmend relevanter wird, weil sich die sogenannte Musikindustrie so wahnsinnig verändert. Weil das, was es mal zu „popkomm“-Zeiten in den 1990ern gab, gar nicht mehr existiert. Business wird per Netz egal von wo mit dem kleinen Computer gemacht, den du mit dir herumträgst.
Christian: Künstlerinnen und Künstler sind irgendwann geschrumpft zu “Content” – die sind nur noch Material. Es geht gar nicht mehr darum, was die eigentlich machen. Es ist mal wieder an der Zeit, dass es wieder eine Plattform gibt, wo das umgedreht ist – und es um Inhalte geht. Was drückt Musik aus, was hat das für eine Aussage in der heutigen Welt? Deshalb hat das „Pop-Kultur“-Festival einen anderen Fokus. Das Business ist nicht ausgeblendet, denn vor allem der Nachwuchs-Teil vermittelt sehr viel praktische Erfahrung. Aber grundsätzlich finde ich es wichtiger, die künstlerischen Inhalte und Aussagen in den Vordergrund zu stellen.
BLN.FM: Deshalb wirkt das Programm streckenweise wie ein Uni-Seminar mit Konzertanschluss. Habt ihr überhaupt kommerziellen Erfolgsdruck?
Katja: Ja, es gibt auch wirtschaftlichen Druck. Aber die Musik muss ein bisschen spezieller sein. Wir müssen Tickets verkaufen, aber wir bekommen auch Geld von der Stadt. Und dann muss auch der Anspruch da sein, etwas zu zeigen, was nicht auf jedem Festival läuft. „Pop-Kultur“ soll aber auch kein reines Showcase-Festival sein, sondern soll die Sinne der Menschen öffnen, damit sie Lust bekommen auch über den Tellerand hinweg Dinge anzugucken und auf Entdeckungsreise zu gehen in der Musikwelt.
Christian: Wir versuchen Künstlern weit mehr Möglichkeiten zu bieten als andere Festivals. Normalerweise hast du als Künstler ein Programm, mit dem tourst du von Festival zu Festival und man sieht überall das Gleiche. Wir versuchen ein bisschen früher an den Künstlern dran zu sein – und es gelingt uns mit sehr vielen, dass sie gerade dann, wenn sie etwas Neues gemacht haben, es zum ersten Mal bei uns zeigen. Und wir versuchen sie auch noch anders einzubinden und fragen: „Hättet ihr Lust Leuten was beizubringen?“ Im ersten Jahr haben wir gedacht, dass das ganz schön kompliziert werden könnte, weil man die Künstler aus ihrer Routine rausreißt und ganz schön viel von ihnen verlangt. Aber die Reaktion ist sehr positiv und die Leute freuen sich, dass sich mal jemand mehr für sie interessiert.
BLN.FM: Das Programm ist international und indie. Könnte das Festival nicht genauso in New York und Barcelona stattfinden? Was ist spezifisch Berlin-Neukölln?
Katja: Klar gibt es ähnliche Kieze in jeder größeren Stadt. Aber Neukölln ist schon etwas sehr Spezielles. Da gibt es eine Dichte von sehr unterschiedlichen Orten und Menschen, die dort gern zusammen leben. Einzelne Veranstaltungsorte in Neukölln wie das SchwuZ haben eine unglaublich lange Tradition. Das gibt es seit den 1970ern, die haben wichtige Dinge in der queeren Berliner Szene erfunden. Und das ist sehr “Berlin” – und das findet sich auch in unserem Programm: Weltoffenheit, Größe und Toleranz. Und das ist gerade so, wie die Welt gerade ist, mit das Wichtigste.
BLN.FM: Und wie ist das bei der Programmgestaltung sichtbar?
Katja: Wir arbeiten mit vielen lokalen Labels, Agenturen und Musikern – aber zeigen auch, wie viele internationale tolle Leute wir haben- wie zum Beispiel Fatima Al Quadiri. Aber wir haben die Leute jetzt nicht gefragt: “In welchem Berliner Bezirk wohnt ihr?” Bands wie Diät sind in Berlin aufgewachsen. Auch die Expat-Szene ist vertreten, beispielsweise mit Keøma. Aber wir haben noch Sachen aus dem Neuköllner Kiez reingenommen – zum Beispiel die “Simi Will”-Talkshow.
BLN.FM: Vom Berghain abzuwandern ist eine mutige Idee. Doch habt ihr mit Neukölln nicht gleich den nächsten “sicheren Hafen” angesteuert?
Katja: Für uns war es toll, dass es das Berghain im ersten Jahr mit uns veranstaltet hat. Dennoch konnten wir auch 2015 nicht ahnen, dass wir ausverkauft sein werden – auch wenn „Pop-Kultur“ im Berghain stattgefunden hat. Jetzt finden wir es gut woanders zu sein, denn wir sind kein Berghain-Festival. Ob Neukölln ein sicherer Hafen ist, wird sich aber erst nach dem Festival herausstellen Dass wir weiterziehen, kann passieren. Vorstellbar ist alles in Berlin – von Marzahn bis Lichtenberg. Aber wir müssen erstmal gucken, wie es läuft. Denn organisatorisch ist es sehr anstrengend woanders zu sein. Die Planung ist der reinste Wahnsinn. Vielleicht bleibt man auch mal zwei Jahre – und dann geht’s erst woanders hin.