Die Stadt ist voller wilder Tiere. Von Bushaltestellen und Plakatwänden springen sie uns an, die Bestien, die noch bis zum 24. Mai im Hamburger Bahnhof hausen. Ein Seitenflügel des Museums für Gegenwart ist zum „Bestiarium“ geworden und zeigt derzeit eine Werkschau des amerikanischen Malers Walton Ford. Dieser wurde zwar erst 1960 geboren und ist somit sehr zeitgenössisch, hat aber einen Stil entwickelt, dessen Ästhetik intuitiv an alte naturkundliche Darstellungen und sehr, sehr überholte Biologiebücher erinnert. Doch wer nur der anschaulichen Farbtafeln wegen ins Museum geht, verpasst die Hälfte des Genusses.
Denn der eigentliche Spaß beginnt beim Versuch, die anderen Ebenen von Fords Gemälden zu entschlüsseln. Die detailreichen Panoramen sind überbordend mit Symbolen versehen, die alle um ein zentrales Thema zu kreisen scheinen: Macht und deren Ausübung in Form von Gewalt, Unterdrückung oder Sex – aber auch dessen Beantwortung durch Unterwerfung oder Auflehnung. Hierbei werden die Bilder selbst mit dem Museum zu einem übergreifenden Zeichensystem verwoben, das die eigene Neugierde befeuert und den Besucher zum Entziffern verführt.
So werden die wesentlichen Werke von wissenschaftlich-literarischen Beitexten begleitet, die jedes Bild in eine Grauzone zwischen Fiktion und Realität einbetten. Hat Ford hier nun ein tatsächliches Ereignis verarbeitet? Oder geschickt fiktive Fragmente zu einer neuen Wirklichkeit verbunden? So steht man dann vor einem der oft blutigen Bilder und lässt sich gerne dazu hinreißen, das vielschichtige Puzzle, das sich vor einem eröffnet, lösen zu wollen.
Ob dies gelingt, ist natürlich eine andere Frage – interessant ist das „Bestiarium“ so oder so. Die eindringlichen Bilder lassen einen nicht kalt und die Komplexität lässt einen nicht los. Spätestens wenn man sich selbst dabei ertappt, die wildesten Deutungstheorien vom Stapel zu lassen, ist ein großes Hallo garantiert. Wer findet, dass das nach einer belebenden Beschäftigung für triste Wintertage klingt, sollte also ruhig mal die bewusstseinserweiternden Bestien besuchen.
„Walton Ford. Bestiarium“, Sonderausstellung noch bis zum 24.5.2010 im Hamburger Bahnhof, Invalidenstraße 50-51, S-/U-Bahn: Hauptbahnhof. Eintrittspreise und Öffnungszeiten siehe Website.