Pop-Kultur – Es durften mal alle ins Berghain, die sonst nicht reinkönnen.

Pop-Kultur 2015 by Tonje Thilsen , mit freundlicher Genehmigung Pop-Kultur Presse- berghain konzert

Ein Neuanfang sollte das Berliner Festival „Pop-Kultur“ 2015 sein. Die Vorgänger waren Messen, wie popkomm und Berlin Music Week. Dort fanden Experten-Konferenzen statt, gleichzeitig traten Bands auf Konzerten auf. Damit waren die Veranstaltungen an Investoren und Musikfirmen gerichtet, aber auch immer an Fans, Musiker und Neugierige. Industrie, Labels und internationale Experten blieben jedoch zunehmend fern – also beschloss der Berliner Senat 2014 einen kompletten Strategiewechsel. Statt einer Messe, die von der Wirtschaftsverwaltung ausgerichtet wird, sollte ein Festival im Berghain stattfinden. Zielgruppe diesmal: etwas unklar. Organisiert durch das landeseigene Musicboard, investierte der Senat an die 700.000 Euro. Ergebnis: ein Festival Ende August 2015 mit Kritikerlieblingen wie Matthew Herbert und Neneh Cherry, einer kleinen Anzahl öffentlicher Diskussionspanels und Lesungen sowie geschlossenen Workshops für 150 ausgewählte „Talente“ aus aller Welt. Zumindest einige Fans und Feuilleton-Journalisten waren angetan. Aber es gibt auch kritischere Stimmen: „Regierungspop“ motzte Der Spiegel und „Elite-Veranstaltung“ nörgelte die Süddeutsche Zeitung.

Braucht Berlin so ein ambitioniertes Festival, das von der Stadt selbst ausgerichtet und bezahlt wird? Tim Thaler unterhielt sich mit zwei Menschen, die es wissen sollten. Jörg Heidemann steht dem Verband unabhängiger Musikunternehmen VUT vor, einem Verband, der 1.300 kleine und mittlere Indie-Labels und Verlage vertritt. Er kritisiert: „Pop-Kultur“ ist ein Festival für Touristen, nicht für Berliner Labels und Musiker – und sollte nicht vom Senat bezahlt werden. Christian Morin, verantwortlich für das musikalische Programm der Volksbühne, gehört zu den Kuratoren der „Pop-Kultur“ und steht hinter dem Konzept: Pop-Kultur hatte nie das Ziel Berlins Musikszene abzubilden – und das Konzept funktioniert nicht ohne Finanzierung durch Steuern Zahlende.

Hat die Pop-Kultur etwas für die Berliner Musikszene bewirkt?

jörg heidemann - roundJörg Heidemann: Das ist schwierig zu bewerten – es wird sich mittel- und langfristig beweisen müssen, ob es sich etabliert. Aber man muss sagen: Bei einem kuratiertem Festival, bei dem Acts spielen, die nicht nur aus Berlin kommen, ist der Einfluss auf die Berliner Musik- und Kulturszene relativ klein zu bewerten.

Möchte man nachhaltig etwas für Berlins Musikszene oder Industrie machen, dann müsste man sagen ‚Ich fokussiere mich auf Berliner Bands. Ich baue nicht nur ‚Satelliten‘ oben dran, sondern integriere sie schwerpunktmäßig.‘ Berlin ist musikalisch so viel vielfältiger als „Pop-Kultur‘ zeigte. Da müsste man ein drei- oder viertägiges Festival nur mit Berliner Acts fahren, um das abbilden zu können. Dann hätte man ein Festival von und für Berliner Musikern mit Berlinern, die da auch hingehen wollen.

Es kommt eben drauf an, was man will.  Möchte man Berlin für Touristen noch attraktiver machen? Sagt man: ‚Wir möchten ein auf Fans zugeschnittenes Musikfestival, das möglichst viele Leute zieht.‘? Dann ist der Ansatz von Pop-Kultur super und nachvollziehbar. Doch die „Musik-Industrie“ – also vor allem kleine und mittlere Labelbetreiber, die etwas voneinander lernen wollen – habe ich in diesem Format nicht gesehen.

Christian Morin von Tim DobrovolnyChristian Morin: Wenn man sich die Presse anschaut und mit Menschen spricht, die das Festival miterlebt haben, merkt man: „Pop-Kultur“ hat einige wichtige Debatten angestoßen. Das ist schon mal ein ganz großer Erfolg, dass man über die Dinge wieder redet: über das Verhältnis Kultur, Pop, Staat, Gesellschaft, Wirtschaft. Ich finde, darüber wird generell zu wenig reflektiert.

Die Abbildung des Berliner Musikgeschehens war gar nicht das übergeordnete Ziel. Wir haben ja Berliner, nationale und internationale Künstler bunt durcheinander gemischt. Wir machen ja nicht nur etwas, was sich auf Berliner bezieht. Wir haben versucht, die Berliner Kräfte einzubeziehen, die Berliner Plattenfirmen, Agenturen und Firmen – ganz klar. Aber wir wollen nicht bloß das Musikgeschehen der Stadt abbilden. Das ist nicht Ziel des Festivals.

Pop-Kultur ersetzt als Festival nicht ein Treffen der Musikindustrie wie die popkomm, die vormals in Berlin stattfand. Brauchen die das gar nicht mehr?

Christian Morin von Tim Dobrovolny Christian Morin:  Im digitalen Zeitalter hat sich die Kultur des Treffens einfach verändert. Während man früher bei solchen Messen sehr institutionalisierte Formate des Treffens hatte, ist das heute anders. Ich sehe das auch an den internationalen Gästen, die wir eingeladen hatten. Die organisierten sich innerhalb kürzester Zeit ihre Treffen mit Berlinern selbst. Man muss nur einen Rahmen schaffen, wo Leute sich bewegen und sich wohlfühlen..

jörg heidemann - round Jörg Heidemann: Als Verband mit kleinen Labeln und Verlagen stellen wir fest: unsere Mitglieder wünschen sich einen Ort, wo sie sich treffen, voneinander zu lernen, sich austauschen oder mit internationalen Partnern Geschäfte abschließen können – ein klares „Ja“ zu Branchentreffen.

 

Sollte sich ein Festival wie Pop-Kultur nicht selbst tragen?

jörg heidemann - round Jörg Heidemann:  Pop wird durch die „Labelförderung“ in Hamburg und Programmen des Musicboard Berlin immer häufiger gefördert. Ich persönlich denke, dass sich ein Festival aber aus sich selbst finanzieren sollte.

 

Christian Morin von Tim Dobrovolny Christian Morin: Das wäre in dem Format nicht möglich gewesen. Mit öffentlichen Geldern zu arbeiten, gibt einem auch die Freiheit, nicht auf einem Sponsoring-Karneval nur den Content stellen zu müssen, sondern wirklich auch frei, losgelöst von rein kommerziellen Aspekten zu denken. Gerade das gesamte „Pop-Kultur“-Nachwuchsprogramm und viele Sonderformate wären ohne öffentliche Unterstützung nicht zu finanzieren. Wir sind sehr dankbar dafür, uns auch Experimente leisten zu dürfen und haben den Eindruck: das Publikum hat es auch gefreut.

Die kompletten Interviews

Jörg Heidemann, Geschäftsführer des Verbandes unabhängiger Musikunternehmen VUT

Christian Morin, Kurator „Pop-Kultur“

(Tim Thaler / Alexander Koenitz // Foto: Tonje Thilesen, mit freundlicher Genehmigung „Pop-Kultur“)