Cio D’Or ist eine Entdeckerin und Forscherin. Alles, womit sie sich beschäftigt, untersucht und zerlegt sie bis ins letzte Detail. Um es zu verstehen. Und sich sicher zu sein, etwas wirklich Neues gefunden oder selbst geschaffen zu haben – und nicht auf einen Abklatsch bereits Dagewesenen reingefallen zu sein. Erst dann möchte sie ihre Entdeckung mit dem Rest der Welt teilen. Was dann zu hören ist, das ist hoch, weit und lang; große Klangräume. Cio braucht diesen Platz, den sie jedem einzelnen Klang einräumt.
Nachdem die Kölnerin im Alleingang den Umgang mit Klangtechnik erlernt hat, begann ihre Jagd in der Geräuschkulisse. Gesampelt wurde alles und überall. Ausgerüstet mit einem Aufnahmegerät reiste sie mehrmals in die Sinai-Wüste, um nach außergewöhnlichen Klängen zu suchen.
Höre hier das Interview mit Cio D’Or:
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Hier sind Cio D’Ors Antworten zusammengefasst:
Auf fast allen Pressefotos ist Cio D’Or versunken abgebildet. Ist das ein Zufall?
Cio D’Or ist gerne in der Stille und in der Natur. Dort kann sie am besten Musik und sich selbst wahrnehmen. Musikmachen ist schließlich ein Prozess, der ganz nah bei einem selber anfängt. Cio hat eine Tanzausbildung hinter sich und absolvierte Auftritte unter anderem für Andre Heller oder John Frankenheimer. Beim Tanz muss man sich sehr intensiv mit dem eigenen Körper auseinandersetzen und das kommt auch auf den Fotos rüber.
Achtet Cio D’Or als ausgebildete Tänzerin bewusst auf die Bewegungen der Menschen im Klub?
Cio D’Or träumt davon, dass Menschen individueller tanzen und die Nächte im Club feinfühliger sind. Sie begann ihr letztes DJ-Set am Vorabend recht langsam, bevor sie ins Treibendere überging, denn viele Menschen brauchen einen Kick zum Tanzen. Danach mag ein gleichbleibendes Tempo hypnotisch sein, aber solche DJ-Sets werden dann auch langweilig. Darüber macht sich Cio ganz oft Gedanken. Beim Ballett sieht Cio hingegen, was man mit Musik machen kann – zum Beispiel bei Strawinski, der mal laut, mal leise, mal dramatisch wird. Das fehlt ihr häufig auf der Tanzfläche. Das letzte Mal, dass Cio lange selbst getanzt hat, war zur Musik von Sleeparchive, der komplexe Rhythmen-Strukturen verwendet und jedem einzelnen Klang sehr viel Platz läßt. Dieser Platz hilft Cio D’Or bei der Bewegung.
Cio D’Ors Musik spielt viel mit Gefühlen und mit Langsamkeit. Hilft es, eine Frau zu sein, um diese Art von Musik verkaufen zu können?
Männer trauen sich das vielleicht weniger, weil andere sonst sagen würden: „Mann, bist du weibisch!“ – Es gibt aber auch sehr viele sensible, feinfühlige Produzenten, zum Beispiel Mathew Jonson, der ein paar sanfte, sehr melancholische und tiefgründige Tracks produziert hat. Cio findet dennoch, dass ihre Musik „einen Touch weiblich“ klingt.
Cio D’Or engagiert sich bei female pressure, einem Netzwerk, das kreative Frauen nach vorn bringen soll. Spielt sie bei Bedarf ihr Frau-Sein aus, läßt sie die Titten sprechen, wenn’s um Gigs oder Plattendeals geht?
Cio legt großen Wert darauf, nicht irgendein Geschlecht in den Vordergrund zu stellen, sondern die Musik und Emotionen. Aber sie hatte schon das Gefühl, dass es die Frauen zumindest am Anfang ihrer Karriere nicht so leicht haben wie die Männer. Das ist ganz klar, denn die Frauen heutzutage sind die erste Generation, die selber Musik produziert – eine Tätigkeit, die zuvor zumeist Männern vorbehalten war, auch wenn es vereinzelt Musikerinnen gab. Da müssen die Frauen aufholen. Männern wird der Umgang mit Technik mehr in die Wiege gelegt. Jungs kommen über Computerspiele ans Produzieren, haben also zuerst das Wissen über die technischen Mittel. Mädchen interessieren sich hingegen für anderes. Cio wollte etwas aussagen – so kam sie dann zum Produzieren der eigenen Musik. Dafür musste sie sich zuerst einmal alles Technische ohne Lehrer beibringen.
Gibt’s eine Geschichte hinter dem Debüt-Album „Die Faser“?
Am Anfang wollte Cio nur eine weitere EP machen. Nach jedem Stück fühlte sie aber, dass es noch mehr gab, was sie sagen wollte, dass die Sammlung von Tracks noch nicht abgeschlossen war – wie ein unfertiges Buch. Als sie dann aber alle Stücke fertig hatte, war es schwierig ein Label zu finden, das alle Tracks – nicht nur einzelne – zusammen und nicht auseinander gerissen veröffentlichen wollte. Ihre Idee war dabei, zu den Tracks eine Aussage eines nahe stehenden Künstlers und ein weiteres Ambient-Stück zu packen. So bilden sich Absätze – wie bei einem Buch. Mit Prologue fand sich dann ein Label, das schließlich sagte, „OK, machen wir!“
Wenn „Die Faser“ ein Buch ist, was plant die „Schriftstellerin“ Cio als nächstes? Ein weiteres Buch, eine Kurzgeschichte oder ein ganzes Lexikon?
Momentan kämpft Cio für ein wenig freie Zeit, hat aber schon wieder zwei kleine Geschichten angefangen. Dabei braucht sie immer sehr lange für einen Track, weil sie sich oft hinterfragt. Ist das Resultat wirklich etwas Neues? Kann sie damit jemanden bereichern? Wenn das nicht der Fall ist, lässt Cio es lieber sein.
In einem Interview hat Cio gesagt: „Nichts gegen Moneten – aber die will ich nicht in der Musik hören!“. Wie weit kann sich Cio D’Or selbst davon frei machen – schließlich muss sie ja auch von etwas leben?
Wenn Cio nur verkaufbare Musik machen wollte, um reich zu werden, würde sie ganz andere Musik machen: zum Beispiel Volksmusik. Popmusik würde sich auch besser verkaufen. Filmmusik würde auch mehr Geld bringen. Cio könnte sich in alles hineinversetzen, aber es würde nicht „ihrem Herzen entspringen“. Auch wenn sie vom Musikmachen und Gigs lebt, hat Cio schon Auftritte abgesagt, wenn sie das Gefühl hat, dass man ihre Musik nicht verstehen wird – wenn zum Beispiel als Publikum reine Spaßgesellschaft oder „der Ballermann“ zu erwarten ist. Cio möchte mit ihren Sets lieber kleine Welten für eine Nacht erschaffen.
Zum Thema Spaß sagte Cio mal: „Spaß ist wie ein Stück Seife. Kaum greifst Du danach, flutscht es Dir aus der Hand“.
Cio redet lieber von Freude – für sie ist das Wort „Spaß“ eher negativ behaftet.
Zur Zeit lebt Cio aber in der deutsche Hochburg des Spaßes – Köln. Warum wöhnt sie nicht im griesgrämigen Berlin, wenn sie Spaß blöd findet?
Cio lebte zu Zeiten des Mauerfalls bereits in Berlin. Beim Musikmachen stellte sie allerdings fest, dass sie Stille als Ausgleich zur Musik und zu Klubs braucht. In Berlin kennt sie viele Menschen und müsste ständig Einladungen für Parties von netten Bekannten ausschlagen. In Köln kann sie hingegen zurückgezogen sein, dort geht sie kaum weg. Sie hat ein nettes Häuschen mit Garten und füttert die Vögel – Köln ist für sie Klein-Berlin.
Mit welchen anderen Kölner Musikern ist sie verbunden?
Mit Gabriel Ananda und Dominik Eulberg verbindet Cio eine Freundschaft, musikalisch hat man sich aber unterschiedlich entwickelt.
Cio D’Or beschrieb ihre eigene Musik als „deep“. Dieser Begriff wird ja nun überall bis zum Erbrechen für die Beschreibung von Musik verwendet. Aber was bedeutet „deep“ für Cio?
„Tiefe“ ist das Gegenteil von Spaß. Spaß-Musik ist aufpeitschend, betont locker, karnevalesk. Auf der anderen Seite ist es stiller und berührend, auch melancholisch. Viele elektronische Musik dagegen ist nur „la la“-Klickerklacker – Spaß und leichte Kost wie ein Groschenroman.
Cio D’Or hat mal gesagt, das Buch, das sie am meisten beeinflusst habe, sei das Neue Testament. Was hat sie daran so fasziniert?
Für Cio ist das Neue Testament ein lebendiges Buch, ein „Buch der Unendlichkeit“ – das ihr Leben seit über 20 Jahren begleitet und beeinflusst. Sie liest jeden Tag darin. Cio hat sich mit einigen Religionen beschäftigt. Das Christentum hält sie dabei für das größte Geschenk, das den Menschen gegeben wurde. Viele Menschen schämen sich dafür – sie nicht. Der christliche Glaube treibt Cio – sie muss sich nicht anstrengen, Dinge zu tun, das gilt auch für die Musik.
So klingt Cio D’Or im Programm von BLN.FM:
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Cio D’Or: Die Faser ist bereits Ende 2009 auf Prologue erschienen.