Menschen sind mehr als Zellen, die zu glitschigen Organen verklumpen oder sich als Knochen verhärten. Wir alle sind Daten, die ausgewertet werden. Damit wird nicht nur die Stadt, in der wir leben angenehmer gestaltet. Auch Behörden, Verwaltung und Konzerne können anhand der Daten voraussehen, was wir wollen, was wir tun werden und was aus uns wird.
Wer im 21. Jahrhundert erfolgreich sein will, der baut auf Daten, wertet sie aus und baut daraus Realitätsblasen. Die Werbung im Netz schlägt uns treffsicher ein Angebot vor, das wir wirklich interessant finden. Facebook erheitert uns mit den Beiträgen der Freunde, die uns höchstwahrscheinlich amüsieren. Das Mobiltelefon erinnert uns morgens daran, wann wir unseren Fahrgewohnheiten entsprechend aufbrechen sollten.
Nach und nach werden wir eingesponnen in ein Netzwerk von sichtbaren und unsichtbaren Messfühlern, die sich miteinander verbinden. Sie klopfen uns ab, sie nehmen uns beständig auf, sie vermessen uns vollständig – zum Vorteil von uns, den Bilanzen multinationaler Konzerne und einer Regierung, welche innere Sicherheit und Stabilität garantieren will. Vielleicht werten sie noch nicht alles aus, was sie über uns erfassen, aber man weiß nie, was mit den Daten noch optimiert werden könnte. In dieser „Matrix“ zu leben ist es gar nicht so unangenehm: Sie passt sich unseren ungeäußerten Wünschen vorab an. Und auch wir selbst passen uns an sie an, weil wir nach Vollkommenheit streben.
Big Brother liest unsere Wünsche von den Lippen ab
Das klingt alles wie Science Fiction, doch beim Berliner Medienfestival „Transmediale“ sind Wissenschaftler, Medienaktivisten und Künstler überzeugt: Wir sind mittendrin in der Matrix. Zumindest erleben wir gerade, wie sie gebaut wird. Denn das Zeitalter von Big Data ist angebrochen, in der ein freundlich-verständnisvoller Big Brother unser Leben und Arbeit reguliert- doch so richtig kann niemand die Folgen abschätzen. Wie sind noch dabei uns ein Bild zu machen, wie die Welt mit ihren unsichtbaren Datenströmen funktioniert.
Vom 28. Januar bis 1. Februar stellen die Macher auf der einer Ausstellung und Konferenz ihre Sicht auf die entstehende „Matrix“ vor und liefern Ideen und Anleitungen, sich ihr zu entziehen. Zum Beispiel durch modernes Klosterleben, Offline-Netzwerke und Datenspam. „Laßt nicht sie mit uns spielen, sondern wir mit ihnen.“ – Das könnte die Devise der Veranstaltung sein, die nicht nur netzbasierte Gegenkultur diskutiert, sondern sich auch ein bisschen feiert.
transmediale 2015 – „Capture All“ – 28.1.-1.2.2015 Haus der Kulturen der Welt, John-Foster-Dulles-Alle 10, Berlin-Tiergarten, Ausstellung: 5 €, Festival-Pass 90 €/70 €, Tagespass 25 €/20 €