Streaming aus der Wolke – Die neue Cloud-Invasion

Als Emile Berliner 1887 die flache, von beiden Seiten abspielbare Platte für das Grammophone erfand, war ihre Durchschlagkraft für die Musikindustrie kaum denkbar. Erstmals war es möglich, Musik aufzunehmen und zu verkaufen. Über die Jahre entwickelten sich die Tonträger von Schellack über Vinyl hin zur Compact Disc. Tonträger durchlebten seit jeher eine stetige Metamorphose, die sich immer mehr von der Pressung entfernten und 100 Jahre nach Berliners Erfindung mit dem MP3 ihren vermeintlichen Todesstoß erfuhren. Musikkonsum wurde digital und mündete in der Entmaterialisierung kultureller Inhalte durch P2P-Clients wie Napster und LimeWire. Der Gegenstand Musikaufnahme – egal ob Platte, CD oder Kassette – den man noch über die Ladentheke reichen konnte: verschwunden. Die digitale Urheberrechtsdebatte und mögliche Lösungsansätze von Staaten und Industrie, eingewoben in internationale Abkommen wie ACTA, SOPA und PIPA, beinhalten die virtuelle Totalüberwachung, deren Konsequenzen unvorhersehbare Folgen mit sich bringen können.
Wie sollte also Musikverkauf im digitalen Zeitalter aussehen?

Digitaler Ausverkauf

Eine Antwort lieferten Music-On-Demand-Dienste, die kulturelle Inhalte lizenzieren, welche dann über Abos, Flatrates oder Werbefinanzierung genutzt werden können. Das Modell der Content-Flatrate scheint der digitalen Welt angepasst, die Bezahlung der Artists ist jedoch so geringfügig, dass vor allem Künstler auf Independent Labels Schwierigkeiten haben dürften, von den Einnahmen zu leben. Im Dezember berichtete Digital Music News über die marginale Ausschüttungspraxis des Streaming-Dienstes Pandora und veröffentlichte einen Brief von Marty Bandier, CEO der Sony/ATV Music Publishing, an seine Mitglieder. Darin beschreibt er die Entwicklung „von einer von physikalischen Tonträgern und Downloads beherrschten Welt“, die sich stetig in Richtung Streaming bewege. Zu ihren erfolgreichsten Songs zählt Bandier unter anderem John Legends „All Of Me“ und Pharrell Williams „Happy“, die es in den ersten drei Monaten im Jahr 2014 zusammen auf 98 Millionen Streams beim Radio-Service schafften. In Tantiemen liest sich diese Zahl weitaus weniger gut: Für 43 Millionen Streams des Songs „Happy“ gab es gerade mal 2.700 Dollar in Publisher- und Songwriter-Royalties. Das entspricht 60 Dollar Songwriter-Royalties auf eine Million Streams. Weiter schreibt Bandier, dass die Ausschüttung von Seiten der Streaming-Dienste noch immer unterdurchschnittlich ist.

Erst jüngst sorgte Taylor Swift für Aufsehen, als sie ihren gesamten Katalog von Spotify entfernen ließ. Ihr Titel „Shake It Off“ sei der zu diesem Zeitpunkt meist gespielte Track gewesen, berichtete USA Today. Spotify reagierte mit einer Social-Media-Kampagne namens „Just Say Yes“, um die Sängerin umzustimmen. Doch Swift, so wie viele andere Artists wie Bob Seger, Thom Yorke oder Four Tet, empfinden ihre Arbeit als nicht ausreichend vergütet und den Trend zum Stream als zu schnelllebig. Die Musiknutzung hingegen ist dank der Flatrate-Angebote wie spotify angestiegen. Der Dialog zwischen Urhebern und Netzgemeinde, die sich doch allmählich vom Stigma der Umsonstkultur zu lösen begann, wird zum Kampf – im Hintergrund summt die ewig wiederkehrende Frage:
Wie viel Bezahlung ist genug?

Klar erkennbar ist die Entwicklung weg von der „material world“. Gestreamte Artikel gehen nicht einfach in den „Besitz” des Hörers über, wie noch bei physischen Tonträgern oder MP3-Downloads. Stattdessen befeuern sie die Erneuerungssucht der schnelllebigen Konsumgesellschaft, in der das Internet schnell und günstig einen Strom neuer, scheinbar kostenloser Inhalte zur Verfügung stellt. Gerne glauben wir in einer Welt zu leben, die durch Globalisierung und das Internet näher zusammen gerückt ist. Alles ist nur einen Klick entfernt, ob Kleidung, Filme oder Musik, ja, sogar Kojotenurin ist im virtuellen Pool an Wissen und Schwachsinn auffindbar. Der digitale Nivellierungsprozess schafft eine Dynamik hin zur Diversifizierung auf dem globalen Markt, der doch gerade durch das Web 2.0 gestärkt werden sollte. Dennoch sind viele der ausländischen Dienste, wie beispielsweise der amerikanische Marktriese Pandora, in Deutschland nicht nutzbar. „We are deeply, deeply sorry to say that due to licensing constraints, we can no longer allow access to Pandora for listeners located outside of the U.S., Australia and New Zealand“, heißt es auf pandora.com.

Schnelles Strömen

Für Streaming-Anbieter scheint sich das Geschäft zu lohnen. So kündigte auch Beatport an, künftig einen Streaming-Service anzubieten: „Beatport ist ohne Frage die Quelle für EDM für DJs und stellt somit das Rückgrat – die DNA, wenn man so will – für erfolgreiche Titel bereit, welche die Leute hören wollen“, erklärt Robert F. X. Sillerman in einem Interview mit Billboard. Nun sollen verstärkt die Endkonsumenten erreicht werden, weil der Umsatz mit digitalen Downloads stagniert. Sillermans Unternehmen SFX Entertainment hatte Beatport im vergangenen Jahr aufgekauft und macht sein Geld mit Großraves wie „Mayday“, „Nature One“ und „Awakenings“.

Interessant sind neben Spotify und Co. auch jene Anbieter, die sich nicht als Streaming-Services verstehen, wie beispielsweise YouTube und SoundCloud, die jeweils auf über 200 Millionen Nutzer kommen. Seit Jahren sind die Verwertungsgesellschaft GEMA und YouTube im Streit um Urheberrechtsverletzungen und fehlende Lizenzen. Eine Ausschüttung erfolgt derzeit über die durch Werbung erfolgten Umsätze. Bei fehlenden Umsätzen bleibt eine Tantiemenzahlung somit aus und untergräbt die von der GEMA geforderte Mindestvergütung für die Nutzung von Musik. Und auch bei SoundCloud gibt es noch keine festen Regelungen.

In anderen Ländern zahlt Google jedoch an Verwertungsgesellschaften. Wie auch bei SoundCloud können Nutzer Content hochladen, das Content-ID-System greift bei YouTube jedoch nur dann, wenn der Rechteinhaber diesen Content bereits gemeldet hat. Das jeweilige Video wird so auf Wunsch des Rechteinhabers gesperrt. SoundCloud scannt derzeit zwar auf Major-Tracks, viele der Titel werden aber auch hier nicht erkannt. Wie YouTube im November ankündigte, soll demnächst auch bei ihnen ein monatliches Streaming-Abo, Music Key, angeboten werden, das zunächst nur per Einladung als Beta-Version für knapp acht Dollar vorgesehen ist. Mit solchen Abo-Angeboten sucht YouTube nach Möglichkeiten, die Abhängigkeit von Werbung zu verringern und gleichzeitig Erlöse für die Zulieferer von Inhalten zu erhöhen. Der Service für zahlende Nutzer wird dennoch nicht nach Deutschland kommen, solange die GEMA-Problematik nicht gelöst ist.

Auch SoundCloud, die bisher keine Tantiemen auszahlen, sondern lediglich Direktkaufbuttons eingebettet haben, scheint auf den vorbeifahrenden Zug der Streaming-Anbieter aufspringen zu wollen. Auch hier sollen Rechteinhaber direkt Einfluss darauf nehmen, ob ihre Tracks von anderen genutzt werden können – und unter welchen Bedingungen. Der Service zahlt bisher keine Tantiemen an Labels und Künstler aus, weil es sich als Promo-Plattform verstand. Künftig sollen nun auch hier Rechteinhaber finanziell beteiligt werden – und Einfluss darauf nehmen können, ob ihre Tracks von anderen genutzt werden können. Dazu will SoundCloud auf Werbung setzen.

Gesetzliches Rahmenwerk

Durch die Einigung von GEMA und Bitkom im Jahr 2011, bekamen Music-On-Demand-Dienste ein neues Ausschüttungsmodell, mit dem fortan Musik in der Cloud zur Verfügung gestellt wird. Die Gewinne werden dann wiederum von den jeweiligen Unternehmen in Form von Tantiemen, die sich an der Zahl der Streams orientiert, ausgeschüttet.  So lautet zumindest die Theorie. Denn viele der kostenpflichtigen Streaming-Dienste haben weder eine Lizenz, noch zahlen sie die Künstler nach generierten Streams aus. Um dem entgegen zu wirken hat der Bundesverband Musikindustrie die Initiative Playfair ins Leben gerufen, welche sich als Fair-Trade-Siegel der Musikindustrie versteht: Das Playfair-Logo auf einer Streaming-Seite gewährleistet, dass der Künstler das Lizenzrecht gegeben hat und für die Streams vergütet wird.

Der digitale Markt boomt und generierte 22,6 Prozent der deutschen Musikumsätze, wie der Bundesverband Musikindustrie im Jahrbuch 2013 schreibt. Dabei stiegen digitale Musikverkäufe um 11,7 Prozent und Streaming-Services, sowohl abo-, als auch werbefinanziert, um sagenhafte 91,2 Prozent von 2012 zum Folgejahr. Eine Zahl, die durch das neuerliche Aufkommen von On-Demand-Diensten (Spotify startete im Jahr 2012) relativiert wird. Mit einem Marktanteil von lediglich fünf Prozent, die sich auf etwa 100 On-Demand-Services verteilen, tragen Streaming-Dienste ihre Eierschale noch auf dem Kopf. Doch der Marktanteil steigt rasant: einige Indie-Vertriebe elektronischer Musik setzen generieren bereits genauso viel Umsatz mit Spotify wie mit iTunes oder Beatport.

Zwar machen Streaming-Dienste einen Schritt in die richtige Richtung und bieten eine günstige Alternative zu illegalen Downloads, dennoch muss eine faire Vergütungsbasis weiter verhandelt werden. Zunächst schaffen Streaming-Dienste zwar eine günstige Möglichkeit, neue Musikrichtungen zu entdecken – dabei scheinen jedoch vor allem diejenigen leer auszugehen, die Inhalte generieren und mit ihrer Kreativität am Anfang stehen. Das Internet als globaler Marktplatz bietet neue Perspektiven, die es für Staaten und die Musikindustrie adäquat zu nutzen gilt. Doch nicht nur die Anbieter, auch die Gesellschaft muss sich der fairen Vergütung von Musik öffnen. Die Frage, wie sich das Internet, seine Gesetzeslage und damit auch die digitale Musikverwertung entwickeln, hängt stark von einer Urheberrechtsreform ab, die dem digitalen Zeitalter angemessen ist.