CTM 2015 geht an die Grenzen (Update)

Alec Empire Press Shot

Wenn Kunst auf Fortschritt trifft, entsteht meist Befremdung, Verstörung und Irritation. Da macht auch die Musik keine Ausnahme: Die progressive und künstlerisch wertvolle Musik will mehr liefern, als nur gut produzierte, catchy Ohrwürmer. Das Berliner CTM-Festival, seit jeher weit vorne in der fortgeschrittenen elektronischen Musik, experimentiert 2015 vor allem mit der Schönheit des Missklangs. „Un Tune“, so lautet das Motto des kommenden CTM-Festivals, das vom 23. Januar bis zum 1. Februar 2015 unter anderen im Berghain, dem HAU-Theater und dem Stattbad Wedding stattfindet. Der Begriff leitet sich ab vom englischen Wort „untuned“, was soviel wie „unabgestimmt“ oder „verstimmt“ bedeutet. Wenn also ein Musikfestival sich dem „Un Tune“ verschreibt, dann kann es nur um den Bruch mit den Konventionen gehen: Es geht um Nicht-Musik, um bewusst entstellte Melodien, die am Ende doch zu Musik werden. Wie fühlt sich sowas an? Wie wirkt das auf den Körper und Geist? Wie weit kann Musik gehen, bevor sie unhörbar wird? Das CTM-Festival baut dabei nicht nur auf das Hörbare – es inszeniert Musik als Gesamtkunstwerk, das elektronische Musik, Installationen und Medienkunst verbindet. Dabei leistet es sich Experimente, die sonst keinen Platz in den Vergnügungstempeln der Clubkultur haben.

Eröffnet wird die Woche mit einem Konzert des Soundwalk Collective und der beachtenswerten Fotografin Nan Goldin, die mit Videokunst die Texte des New Yorker Underground-Schreibers David Wojnarowicz vertonen. Alec Empire, Gründer der Technopunk-Band Atari Teenage Riot, führt zum ersten Mal die eher ruhigen Elektronik-Tracks seines Albums „Low On Ice“ auf. Die analoge Elektronik ist inspiriert von den eindrucksvollen Landschaften Islands – und wird mit der Videokunst von Zan Lyons inszeniert. Ebenfalls Premiere feiert eine Performance des Techno-Duos Emptyset, die Radio-Übertragungen live aus der Atmosphäre auffangen, um damit ihren massiven, druckvollen Techno zu modulieren. Electric Indigo aus Wien führt erstmals „Morpheme“ live auf, zu dem Thomas Wagenbach die Bilder liefert. Alle verwendeten Klänge stammen aus einem neun Sekunden langen Schnipsel, der 2014 bei einem Vortrag der britischen Kulturtheoretikern Sadie Plant aufgenommen wurde. Am Ende entsteht aus den verfremdeten, mikroskopisch kleinen Klangpartikeln effektvolle Musik.

Ob sich die verstörenden Klänge irgendwann im Mainstream etablieren, bleibt abzuwarten. Immerhin: Als Anfang der Neunziger bunt gekleidete Kids euphorisiert zu ultraschnellem Rave hüpften, empfanden die meisten das ebenfalls als Lärm und Gedröhne. Das Spiel der Frequenzen und die Abkehr von üblichen Pop-Schemata waren für die meisten eine reine Zumutung. Dass heute selbst Schlagerstars und Werbejingles den vermeintlichen Lärm von damals in ihr Repertoire integriert haben, hätten damals wohl nur die wenigsten geahnt.

Update (26.11.2014):

Seit dem 26. November neu angekündigt: Die Stoner-Doom-Band Electric Wizard stellt mit teuflischen Gitarrenriffs ihr neues Album „Time to Die“ vor. Das Trio Carter Tutti Void beschwört repetitiven Proto-Techno, der zwischen Psychedelic und Noise wabert. Ebenfalls dabei ist der erst 18-jährige Rapper Yung Lean, der für seine Musikvideos alte Bildchen aus dem Internet, chinesische Schriftzeichen und Cartoons mixt. Mit dem nihilistischen Trauerrap der Sad Boys hat der Schwede nicht nur das Herz der tumblr-Szene erobert. Außerdem: Evian Christ mit einer massiven Licht- und Liveshow. Weitere Zusagen: Suicideyear, 18+, Extreme Precautions, Nisennenmondai, Senyawa, Sote, Lydia Ainsworth, Marcus Schmickler, EEK ( اسلام شيبسى **و خالد ماندو** واسلام تأتأ ), Lawrence English, Aleksi Perala, Rose Kallal & Mark O Pilkington, Prostitutes, Thomas Ankersmit, We Will Fail, Gajek, Piotr Kurek, TeZ.

CTM Festival, 23.01.2015 bis 01.02.2015, Berghain, HAU Hebbel am Ufer, Kunstquartier Bethanien, Stattbad, Astra; Tickets ab 80,00 Euro, Festivaltickets erhältlich bei CTM

(Foto: Alec Empire, Promo)