Runter mit der Maske! Beim zweiten Album müssen Musiker ja traditionell Gesicht zeigen. Spielen sie sich frei von ihrem Debüt? Oder verfangen sie sich in einer Fortsetzung desselben? Aaron Jerome alias SBTRKT hat den Nachhall seines ersten, gleichnamigen Albums gute drei Jahre verklingen lassen. Sein Debüt aus dem Jahr 2011 war kompositorisch aus einem Guss und hat leichtfüßig eine eigene, urbane Variante von IDM erfunden, mit viel Soul und wunderbarem Elektrogeflimmer. Es wäre leicht gewesen, da einfach drin zu bleiben.
Doch Aaron Jerome hat alles richtig gemacht. Seine „Transitions“-EP vom Frühjahr wirkte mit ihren fünf sehr abstrakten, fast geometrisch kalten Instrumentalstücken wie ein kleiner Warnschuss, dass Veränderung bevorsteht. Auf „Wonder Where We Land“ löst sich SBTRKT nun schwerelos und ganz behutsam von seinem Trademark-Sound und dreht einfach frei. Die klangliche Vielfalt seines zweiten Albums ist beeindruckend, jeder Track klingt anders. Will man das Hörerlebnis beschreiben, leuchten Reisemetaphern auf: ein Flug über ein Archipel von Inseln, jede reich an eigener Natur; ein Tauchgang durch eine überbordende Unterwasserwelt; eine Fahrt mit der U-Bahn einer Fantasiemetropole, bei der an jeder Station etwas los ist.
Beinahe im Minutentakt – manchmal etwas zu schnell – wechseln die Klanglandschaften, wechseln die Genres. Ambient ist dabei (featuring Koreless), warmer Dubstep, Rap-Passagen (etwa mit Raury oder A$AP Ferg) und instrumentaler, schneller Elektro. Dazu wunderbar eigenartige Stücke wie „New Dorp, New York“ mit Ezra Koenig von Vampire Weekend und „Look Away“ mit der fragil modulierten Stimme von Caroline Polachek. Wie eine Hommage an die Überväter von Massive Attack klingt „Voices In My Head“. Und mittendrin sind auch Weiterentwicklungen und Wiedervorlagen des bereits Bekannten, was man gut daran erkennt, dass SBTRKT-Mitstreiter Sampha singt.
Assoziativ und fast wie ein Traum wirkt das alles, nicht immer gibt es Songstrukturen, die Orientierung bieten. Mal schwimmen die Skits und Stimmungen ineinander über, mal gibt es seltsam abrupte Breaks, aber immer ist die Musik dunkel, warm und dicht. „Wonder Where We Land“ ist ein komplexes Gewebe, eine wilde und deepe Collage aus elektronischen und halb-analogen Klängen aller Art (inklusive bearbeiteter Kirchenglocken), aus mattschwarzen Bässen und glitzernden Arpeggios und aus unverbrauchten, perfekt passenden Gaststimmen, die gute Texte vortragen.
Statt einer durchgehenden Erzählstimme, die das Album zusammenhält, so wie es beim Debüt noch der Fall war, gibt es nun einen Reiseführer, der im Hintergrund bleibt und die Hörer still an die Hand nimmt. SBTRKT zeigt uns eine Welt, die in ihm gewachsen ist: Jeder Zwischenstopp, jeder der 15 Tracks ist eine neue Facette seines musikalischen Ichs. Aaron Jerome hat offenbar gemacht, worauf er Lust hatte – nämlich Kunst. Und zwar ohne dabei „artsy“ oder prätentiös rüberzukommen. Mit „Wonder Where We Land“ etabliert er sich auf ebenso interessante wie charmante Weise als Trademark-Produzent, dessen Handschrift man in jeder Minute deutlich aus der Vielfalt heraushört. Genau das ist der rote Faden, der einen beim Hören einspinnt und mitzieht. Und wenn man immer wieder lauter dreht, um noch tiefer in den Sound einzusinken, und nach 45 intensiven Minuten das Gefühl hat, dass man gerne noch länger geblieben wäre, dann hat dieser Blick unter die Maske wohl sehr gut getan.