Mit Fug und Recht kann man wohl behaupten, dass Vitalic einen Meilenstein der Rave-Techno-Musikgeschichte produziert hat. Seine Poney EP gehört trotz mittlerweile stolzen 8,5 Jahren immer noch zu den Platten, die man als DJ immer dann auflegen kann, wenn das bisherige Set beim Publikum eher mäßig ankam. Mit seinem ersten Album „OK Cowboy“ versuchte Vitalic vor ein paar Jahren genau da anzubauen. Danach Funkstille: er veröffentlichte nur noch ein aufgenommenes Live-Set und eine Mix-CD – aber nichts Eigenes mehr.
Reichlich Zeit verstrich, die er nutzte um sein aktuelles Album „Flashmob“ in Angriff nehmen zu können. Dabei war der Weg bis zur endgültigen Fassung schwierig: im Dickicht der musikalischen Einflüsse, die über Vitalic herein brachen, fiel Orientierung schwer. Aber immerhin: der Weg aus dem Unterholz ist gefunden – und Vitalic meint selbst, dass er jetzt frischer und ganz anders als je zuvor klingt. Im Interview reisten Tim Thaler und Vitalic aber erst einmal ein wenig zurück in der Geschichte, dorthin wo für Vitalic alles begann. Unter dem Interview die sinngemäße Übersetzung von Vitalics Aussagen.
Interview mit Vitalic (englisch):
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Durch den Monsterhit „La Rock 01“ wurde die Welt zuerst auf Vitalic aufmerksam. Wie lange braucht man um so einen Welthit zu produzieren?
Insgesamt hat Vitalic an die 6 Monate an „La Rock 01“ geschraubt. Zwar waren die Ideen von Anfang an da, aber er bekam das Arrangement einfach nicht so hin, wie er es wollte. So hat er den Track immer wieder neu überarbeitet. An einem Montag, dem 8. September, war es dann soweit: da ging es plötzlich rasend schnell. In nur 2 Stunden wurde „La Rock 01“ fertig gestellt.
Wie hat Vitalic erfahren, dass seine Platte ein großer Erfolg geworden ist?
Das erste Mal realisierte Vitalic den Erfolg seiner „Poney EP“ auf einer Gigolo-Party in Traunstein. Da erzählte ihm Hell, dass der Track auf Platz 3 bei der Groove-Leser-Hitliste gelandet sei. Kurz danach spielte Hell auf der Hauptbühne bei der Loveparade und Vitalic bekam mit, wie wirklich alle Leute ausflippten.
4 Jahre nach dem Erfolg der Poney-EP veröffentlichte Vitalic 2005 sein erstes Album „OK Cowboy“, 4 Jahre darauf erst das zweite Album „Flashmob“. Dazwischen gab’s nur noch eine Aufnahme eines Live-Sets sowie eine Mix-CD. Was hat Vitalic in der Zwischenzeit getrieben?
Vitalic hat sehr viel getourt und sich dabei immer weiter in Richtung Hauptbühne gekämpft. Im ersten Jahr spielte er noch auf dem dritten Floor, im zweiten Jahr dann schon auf dem zweiten. Alles ging eher langsam vor sich und es war kein Erfolg über Nacht, der dann schnell wieder verpufft. Außerdem hatte Vitalic ganz häufig schlicht keine Lust Musik zu produzieren – dann ließ er es einfach bleiben.
Hat Vitalic unter Erfolgsdruck gestanden?
Vitalic verspürte bei „Flashmob“ auf jeden Fall Druck – denn bei der Veröffentlichung eines Albums geht es nicht mehr nur um ihn allein. Da hängen auch Leute dran, die in der Plattenfirma mit der Vermarktung beschäftigt sind. Daneben setzte er sich aber auch selbst unter Druck: es ist ihm wichtig etwas Neues zu schaffen. Auch auf die Veröffentlichung von „La Rock 01“ hat damals niemand gewartet, aber auch schon bei dieser Platte hatte Vitalic den Anspruch eine qualitativ gute EP zu produzieren.
Was hat „Flashmob“ mit Flashmobs zu tun?
Nichts. Vitalic selbst war noch nie auf einem Flashmob. Er hat es einfach so genannt, weil er Flashmobs im Fernsehen sah. Er fand das Thema neu, interessant und aufregend aber niemand, den er kannte, hat darüber geredet. Es war etwas Geheimes. Also hatte er seinen nächsten Track einfach „Flashmob“ genannt. Der Namen passte dann auch gut zum fertigen Album.
Welche coole Idee hätte Vitalic für einen Flashmob?
Eine coole Idee hatten schon andere: es gab ein paar tolle, spontane Partys in der Pariser U-Bahn zwischen zwei Stationen. Das wurde aber schnell verboten und so finden diese Partys mittlerweile nicht mehr statt. Kurz nach der Veröffentlichung des Albums hielt er es noch für eine gute Idee, spontan einen solchen Flashmob zu organisieren. Aber mittlerweile denkt er, dass es sich einfach nur nach einer schlechten Marketing-Aktion anhört.
Ist ein Album immer noch zeitgemäß in Zeiten in denen sich jeder seine Lieblingslieder runterlädt?
Vitalic denkt, dass wir in der Zukunft wesentlich mehr „Kurz-Alben“ auf dem Markt sehen werden. Aber Vitalic ist altmodisch: er mag die Idee des Albums, welches von einem Konzept zusammengehalten wird.
Mittlerweile sind mit Yuksek, Brodinski oder The Shoes die nächste Generation französischen Musiker ins Rampenlicht getreten. Sieht Vitalic sich selbst als Mentor?
Vitalic hat erst sehr spät angefangen Musik zu machen. Die anderen waren sehr viel jünger als sie anfingen. Als Lehrer würde er sich nicht unbedingt sehen, denn alle haben unterschiedliche Musikrichtungen. Yuksek ist für ihn eher nahe an Justice und Brodinski macht mehr Techno als Vitalic. Man sieht sich nur, wenn man irgendwo zusammen gebucht wird. Dabei trifft er Yuksek mehr in Frankreich und Brodinski mehr in anderen Ländern: jedes Mal, wenn Vitalic in Irland oder in London spielt, trifft er dort auf Brodinski.
Es scheint so etwas wie ein Rezept für einen Vitalic-Track zu geben: er Elemente aus Rock, Pop und Techno. Als was sieht sich Vitalic selbst? Mehr als einer von vielen Techno Live-Acts oder doch vielleicht als Rockstar?
Vitalic mag die Star-Attitüde nicht. Auf der anderen Seite sieht er sich auch nicht wirklich als Techno-Musiker. Vitalic mag seine Musik nicht zu eng zu fokussieren. „OK Cowboy“ war Electronic-Rock, Flashmob ist nun eher Nu-Disco. Wer weiß, was beim nächsten Album kommt. Aber bestimmt kein Jazz, denn Vitalic mag Jazz überhaupt nicht.
Sagen wir Ambient oder Klassik, Noise oder wird Vitalic für die nächsten Jahre weiter auf das Altbewährte setzen? Auf „Flashmob“ finden sich ja durchaus viele, altbekannte Vitalic-Elemente wieder.
Vitalic kann sich schon vorstellen, was völlig anderes zu machen. Vielleicht Dancehall, denn den mag er gerade sehr. Aber er denkt nicht, dass er immer wieder den gleichen Sound macht: die starke Bassline von „OK Cowboy“ gibt es „Flashmob“ nur noch in einem einzigen Track. Es gibt auch nur einen Track mit einem Gitarren-Riff. Aber wenn Vitalic seinen Synthesizer programmiert – dann klingt’s eben nach Vitalic. Das ist nicht zu ändern – auch wenn Vitalic aufpasst, sich nicht zu wiederholen. Sowohl bei der Konstruktion seiner Tracks als auch bei deren Länge ist er auf „Flashmob“ neue Wege gegangen.Folge: in Frankreich haben die Leute ganz schön Zeit gebraucht um das Album zu verstehen.
Vitalic hat mal gesagt, dass er die Tracks von Mister Oizos Album „Lambs Anger“ sehr mag. Die sind nur 2 Minuten lang – Mister Oizo sagte damals, sie seien eben nicht für DJs geschrieben. Auch die Tracks auf „Flashmob“ sind relativ kurz. Für wen sind sie gemacht?
Vitalic‘ Tracks sind zwar tanzorientiert – aber nicht nur für DJs gemacht. Vitalic hat sich ganz einfach die Frage gestellt, was er hören will, wenn er eine Musik-CD im Auto spielt. Dann braucht er die ganze Einmix- und Ausmixzeit bei Start und Ende des Tracks nicht. Wenn ein Track ein Intro hat, dass Sinn ergibt, dann ist es okay – ansonsten läßt er es einfach weg. Dennoch können die Tracks immer noch als Klubmusik durchgehen.
Vitalic legt selbst auch auf – vermisst er Vinyl?
Vitalic wird CDs vermissen – er mag es seine Kollektion bei sich zu haben, die Hüllen zu sehen, die Info und Danksagungen zu lesen und so weiter. Aber auf der anderen Seite ist es wesentlich schneller und einfacher mit einem Computer aufzulegen.
Vor „Flashmob“ wusste Vitalic erstmal nicht, wie es musikalisch weitergeht. Dann hat er sich neues Equipment gekauft und zack, ein paar Monate später verlässt ein ganzes Album Vitalics Studio. Was für ein magisches Instrument hat sich Vitalic zugelegt?
Es war ein Origin, aber mittlerweile ist Vitalic doch etwas angefressen von dem Teil, denn es ist sehr umständlich zu programmieren. Aber der Sound ist wirklich einmalig. Dazu benutzt er noch eine Machine Drum. Vitalic benutzt kaum Samples, und wenn dann arbeitet er nur mit kurzen Samples wie „i“, „ping“, „pung“ – aber mit längeren Samples fühlt er sich nicht wohl, weil er diesen speziellen Klang nicht selbst erzeugt hat. Es ist einfach nicht sein Sample – und auch nicht „seine“ Musik. Aber wer weiß, vielleicht basiert sein nächstes Album nur auf Samples?
Wie fühlt es sich an geremixt zu werden?
Wenn der Remix gut ist, fühlt sich das gut an. Aber damals bei Gigolo lief es nicht so: die Remixe, die von „La Rock“ gemacht worden sind, waren einfach schlecht – und da weigerte sich Vitalic sein Einverständnis zu geben. Deshalb gab’s keinen Poney-Remix auf Gigolo.
Was ist Vitalics Lieblingstrack auf „Flashmob“?
„See The Sea (Blue)“ – eine Acid-Ballade. Sie erinnert Vitalic an etwas schönes, das er erlebt hat.
Im Gegensatz zu so machen Künstlern aus den USA wohnt Vitalic näher an Berlin, spielt hier aber weitaus weniger häufig. Woran liegts?
Vitalic denkt nicht, das er zu teuer zu buchen ist. Anfang 2000 war er schon sehr angesagt. Aber viele Artists, die durch Gigolo bekannt wurden, haben das Label wie ein Etikett an sich haften – und das ist derzeit nicht mehr so gut, weil das Label altmodisch geworden ist. Derzeit ist Vitalic in Spanien, Portugal und Belgien angesagt. Aber sobald es ein Angebot für eine gute Party in Berlin gibt ist er dabei.