Was 2009 ging und was nicht.

2009 wird wohl als das Jahr in Erinnerung bleiben, in dem die Tigerente an die Macht kam und Jamaika kein Witz mehr war, sondern politische Realität wurde. 20 Jahre Mauerfall waren da beinahe nur Fußnote, einzig der Alexanderplatz wurde fürs Jubiläum mit einer sperrigen Ausstellung hergerichtet.

Das Problem eines Rückblicks auf musikalischer Ebene ist identisch mit dem bei sogenannten „Talentshows“, für die, nur so nebenbei, Erfinder und Juroren erschlagen gehören. Man merkt sich nämlich immer den letzten Kandidaten am besten und vergibt unbewußt da schon mal ordentlich Punkte obendrauf. Deshalb fallen mir auch für 2009 zuerst The XX, La Roux, Florence & The Machine und Miike Snow ein.

Aber da war soviel mehr. Calvin Harris machte den Soundtrack zur wohl schrägsten Cola-Reklame aller Zeiten. Beth Ditto von Gossip zeigte eindrucksvoll, wie schwachsinnig das Ästhetikdiktat der Musikindustrie ist, und Helene Fischer bekam zwei Echos. Außerdem fiel in der nordchinesischen Provinz Shanxi ein Sack mit Noten um.

Tokio Hotel wurde erwachsen (hihi), Deichkind waren traurigerweise fortan einer weniger und Eminem nur noch ein Gähnen wert. Musikindustrie und unabhängige Labels verschmolzen im Angebot wie Chromeo und Rewe Supermarkt. Mit anderen Worten, unglaublich viel Musik aus dem mysteriösen „Indie“-Bereich wurde massenkompatibel, und so vernahm man eben auch aus Kaufhauslautsprechern zwischen Pudding und Backmischung The Whitest Boy Alive.

Es fiel aber auch auf, wie viel gute Musik sich in „dieser schnellebigen Zeit“ aus den Jahren davor sozusagen herüber rettete und 2009 ebenfalls noch präsent war, wie CSS, LCD Soundsystem, Late of the Piers, Justice oder Whomadewho.

An dieser Stelle prophezeit der Autor, dass die letzten drei, vier Jahre einstmals die „80er“ der nächsten Generation sein werden. Also dass aus diesem Pool die Tracks entspringen, die später junge Menschen cool finden. So ähnlich wie heutzutage die Herrschaften mit 30 noch die Arme zu „And When The Rain Begins To Fall“ hochreißen.

Da Berlin der Nabel der Welt ist, schauen wir mal, welche Fussel sich so in seinem Bauchnabel einnisteten. Unvermeidlich wie der andauernde Misserfolg von (guten) Clubs, sich im Westteil der Stadt zu etablieren, war die Präsenz von Minimal. Die Konsequenz, mit der Parks, Clubs, Bahnhöfe und Sparkassen solcherart beschallt wurden, war schon fast grenzwertig und es roch doch sehr nach Stillstand. House-Musik hatte scheinbar ein Revival, aber außer dem Gig von DJ Sneak im Weekend ist da – bei mir – nichts weiter haften geblieben. Es darf bezweifelt werden, dass sich das 2010 ändert.

Eine sichere Sache dürfte aber die Gründung einer Eventagentur mit Schwerpunkt Parkbeschallungsverleih sein, denn die Dichte der Open Airs nächstes Jahr wird wohl zur Gründung eines Vereins führen, in dem sich alle Veranstalter zusammenfinden und Gemeinnützigkeit beantragen.

2009 wurde Techno endlich mal nicht totgesagt. Die altgedienten Berliner Recken krochen aus ihren Löchern und zeigten der versnobten Laptop-Jugend, was ne Harke ist: Party like it’s 89… wo Electro noch nicht im 4/4-Takt lief und das Brachiale Grundvoraussetzung für das Fußwippen des Musikhörigen war.

Die Megaspree hinterließ zwiespältige Gefühle. Was man dabei nie verstand war der Bar25-Hype, denn hätte sich die Megaspree-Initiative durchgesetzt, wäre ein 10 Meter breiter Uferstreifen fürs Volk entstanden und die Bar hätte es glatt vom Ufer gefegt. Zudem war, ähnlich gelagert wie beim Disput über Tempelhof, der Senat in keinster Weise an Erfolg oder Nichterfolg dieser Bürgerinitiativen gebunden und konnte sowieso machen, was er wollte. Und siehe da… die Bar kommt 2010 wieder. Man weiß nicht, ob man weinen oder jubeln möchte. So wirkte die Megaspree-Demo denn auch eher wie ein Loveparade-Ersatz für das Clubvolk, das auch mal etwas mehr getan haben wollte, außer zu einer sozialkritischen Facebook-Gruppe zu gehören.

Aber es gab auch Macher dieses Jahr. Menschen, die neue Labels, Ideen und Projekte auf die Beine stellten. Manches ging eher daneben wie der Dice Club, anderes wie der Horst wurde zum Liebling der „Szene“. Zwar gibt es im Berliner Nachtleben für jedes Tierchen ein passendes Plaisierchen, aber die Szene baut definitiv immer noch auf elektronischer Musik auf. Zwei Drittel der rund 250 Veranstalter spielen kaum etwas anderes. De facto sind schnieke Tresen, saubere Gläser und Klos ohne Hepathitisgefahr in den Clubs endlich als nicht szenegefährdend anerkannt, aber München-Style und Schlipsschick scheitern nach wie vor (ein leises Juhu an dieser Stelle!). Die beiden oben genannten Clubs bieten übrigens ideales Anschaungsmaterial für „Dos“ and „Don’ts“. Teilweise hat die Verweigerungshaltung der Berliner Szene dieses Jahr obskure Blüten getrieben, zum Beispiel als das Golden Gate dringend mal renovierte und in etwas überspannten Foren sofort den Stempel bajuwarisch aufgedrückt bekam.

Weitere Clubs kamen und gingen wie üblich. MIKZ, WMF, Suicide Circus, Scala... Manche waren von vornherein temporär wie das Cargo. Und das SO36 bekam nach gefühlten 20 Jahren auf einmal richtig Ärger, weil der Mietvertrag gekündigt wurde. Teilweise waren Clubs nur dem Namen nach neu und fanden dann doch an bekannten Orten statt, was oft zur Desorientierung führte. Der Bauboom klatschte weiter die Grünflächen zu, und kurze Aufregung um die Maria gab’s dann auch – was aber glücklicherweise sofort von dem geschätzten Herrn Biel auf dieser Seite im Interview entkräftet wurde. Berlin Calling war übrigens 2008, aber schlug 2009 noch ziemlich hohen Wellen. Die Schlangen bei Sets von Paul Kalkbrenner wuchsen ins Uferlose und parallel dazu die Anzahl der Leute, die sich über ihn das Maul zerrissen. Manchmal ist Berlin wirklich eine Gosse gehässiger Neider!

Der Lacher des Sommers waren wohl die Berichte von Reporten bekannter Boulevardzeitungen aus der Bar 25 und dem Berghain, die offenbarten, wie grundverschieden doch Menschen sein können, die privat die gleiche Musik hören und auch Spiegel in der U-Bahn lesen.

Wunderbare Events wie die Climate Parade und die all 2gether now (A2N) zeigten auf, wie neue Wege beschritten werden konnten, sei es global koordinierter politischer Protest oder eigene Wege abseits von Popkomm und Universal zu finden, um Musik zu machen, zu publizieren und zu promoten.

Auf der A2N waren unter anderem die GEMA-Gebühren ein heißes Thema. Die geplante Erhöhung um 600% hätte zweifelsohne für viele Clubs das Aus in punkto Live-Konzerte bedeutet. 2010 wird die Regelung vorsehen, dass Konzerte bis 2000 Besucher 3% an die GEMA zahlen müssen. Die Popkomm kommt zurück und wird 2010 im Tempelhof stattfinden. Man sollte die Rückkehrer mit Nichtachtung begrüßen.

Während ins politische Leben die Farbe gelb mit Tusch, Juhu und Westerwelle Einzug hielt, ließ sich die gelbe Solarmacht am Himmel eher nicht blicken, und so waren einige Festivals nicht nur vom Regen, sondern auch vom Wegbleiben der Leute bedroht. Einige Organisatoren dachten sich, wozu in die Ferne schweifen, das Gute liegt so nah, und zauberten ein Mini-Festival namens Midsommar mitten in die Stadt an die Jannowitzbrücke (für das nächste Jahr wird ein Sponsoring von Ikea und die Verlegung auf den dortigen Parkplatz nach Tempelhof empfohlen!).

Von der Leichtathletikweltmeisterschaft blieben nur die Street Art Cuts von Usain Bolt und die Plakatwerbung für die „Venus“ als weiterer Tiefpunkt im Leben der Nadja Abd El Farrag. Einen weiteren „Höhepunkt“ bildete der völlig unverhältnismäßige Angriff zweier Polizeibeamter auf friedliche Demonstranten der „Freiheit statt Angst“-Kundgebung in Berlin. Damit hatten wir unseren eigenen Rodney King und youtube einen Klickhit mehr.

Die Kunstmessen hatten mit der Qualität ihrer Exponate zu kämpfen, die Mode-Messen eher damit, dass alle umsonst zu den Partys wollten, aber keiner die Mode käuflich erwarb. Die Finanzkrise ließ einiges untergehen, Magazine wurden kleiner oder verschwanden, Labels lösten sich auf, nur die Flyerflut blieb und es entwickelte sich eine Art Veranstaltungsspam.

Facebook löste Myspace ab und Hypem war einfach fixer als Tonspion. Die Clouds kamen und Google übernahm die Kontrolle über unsere Daten. Aber dass bei Google die Eingabe der Wörter „Berlin Electro 2009“ immer noch zu diversen Elektrofachhändlern führte, war dann doch irgendwie beruhigend.

Was gabs noch? Die Kanzlerin zeigte Dekolleté und die ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld, Berliner Bundestagskandidatin, packte sich mit genauso viel „Holz vor der Hütte“ daneben. Ohne sich davor mit dem Kanzleramt abgesprochen zu haben! Der Tod eines gewissen Herrn Jackson offenbarte, dass halb Berlin zu totalen Hardcore-Fans gezählt werden musste. Die online abgegebenen Beileidsbekundungen waren Legion. Am schwarzen Kanal stritten sich zwei Veranstalter, wer sich denn nun wirklich Räuber nennen dürfe und holten dazu sprichwörtlich auch die Knüppel aus dem Sack.
Auch 2009 haben die Menschen wieder vieles im Namen Gottes getan, er selbst hatte leider keine Zeit, endlich mal vorbeizuschauen. Der Autor Michael Hesemann stellte dieses Jahr übrigens fest, dass der „Stern von Bethlehem“ nicht im Winter, sondern erst im Frühjahr sichtbar war, was für bibelfeste Menschen nur eine weitere nichtige Behauptung im Universum der Ungläubigen sein dürfte. Der ungläubige Frevler vor dem Herrn Thilo Sarrazin ließ mal wieder in seiner unnachahmlichen Art ein paar Kommentare vom Stapel und wurde dafür von Öffentlichkeit und Medien gedisst. Das MDR drehte kurze Zeit später eine kleine freche Reportage, die irgendwann mitten in der Nacht lief und feststellte, dass alle Aussagen von Berlins ehemaligem Finanzsenator komplett der Wahrheit entsprachen!

Der größte ökonomische Schwachsinn war die populärste politische Maßnahme: ja, die Abwrackprämie. Unvergessen bleibt auch der Satz unserer „Klimakanzlerin“ zur Energiesparlampe: „…manchmal, wenn ich etwas auf dem Boden suche, habe ich Schwierigkeiten.“

Und was blieb 2009 wirklich? „Und alle so Yeaahh“. Unglaublich. Was als Eddingspruch auf einem Wahlplakat begann, endete in Massenaufläufen und Sprechchören bei Wahlkampfveranstaltungen von Frau Merkel, die ihr die Show gründlich vermasselten.

PS: Und wie immer gilt… das!