(Der Amen Break als Wellenform)
Sechs Sekunden, die Musikgeschichte schrieben: Der 1969 erschienene kurze Schlagzeug-Break aus dem Song „Amen, Brother“ der Funk- und Soulband The Winstons war in den 1980ern als Grundlage für Hip-Hop-Beats äußerst beliebt. In den frühen 1990ern führte der sogenannte Amen Break sogar zu einem neuen Genre: Jungle.
(Dokumentations-Video der Audio-Installation „Can I Get An Amen?“ von Nate Harrison, 2004)
In den letzten zwei Jahren benutzten auch mehr ProduzentInnen aus Genres wie Techno oder House den Amen Break, aber auch Reese-Bässe – benannt nach dem Projekt Reese von Techno-Produzent Kevin Saunderson. MusikkritikerInnen kündigten 2013 schließlich ein Revival des Genres an. Dass gerade wieder so viel über Jungle gesprochen und geschrieben wird, liegt auch an den Veröffentlichungen der letzten Monate, die für viel Begeisterung sorgten. Darunter waren Alben von Special Request, Machinedrum oder Lee Bannon. Und auch Four Tet landet immer wieder, wenn auch ungewollt, in dieser Kategorie.
Am nächsten kam Paul Woolford mit seinem Projekt Special Request dem Klang von Jungle aus den 1990ern. Schon 2012 erschütterte der Produzent, der vorher erfolgreich House- und Techno-Tracks produziert hatte, mit seinen ersten White-Label-Singles die Tanzflächen mit Amen-Breaks und Reese-Bässen. Damit reagierte er auf die Frustration über die geschäftliche Seite der Musikindustrie, wie er in einem Interview für die Red Bull Music Academy sagte. Im vergangenen Jahr folgte sein Album auf Houndstooth, dem frisch gegründeten Schwesterlabel von Fabric. Auf dieser Platte versuchte er, die Energie und Kraft von Jungle und Hardcore, der in den 1990ern auf britischen Piratensendern in wie Energy FM oder Dream FM lief, in die Gegenwart zu holen. Mit dem Geräusch eines Rewinds zu Beginn, MC-Sample, Sirenen, Breakgewittern und niederdrückenden Halftime-Bässen ziehen Tracks wie „Soundboy Killer“ eine direkte Linie zum Klang von Jungle und Hardcore der Vergangenheit.
Weniger offensichtlich spielte Four Tet in seinem neuesten Album „Beautiful Rewind“ auf das Genre an. Er selbst wehrte sich in einem Interview für das Groove-Magazin dagegen, in das „Jungle-Revival“ eingeordnet zu werden. Tatsächlich gibt es auf dem Album kaum Amen Breaks oder typische Elemente von Jungle; der Verweis liegt mehr in den gesampelten Vocals von Jungle-, Grime- und UK-Garage-MCs. Zumindest der Albumtrack „Kool FM“ (übrigens der Name eines Londoner Piratensenders) verbindet die 4/4-Kick mit Vocal-Samples und Breaks und brachte Jungle einem größeren Publikum auf den Schirm.
Machinedrum arbeitete auf seinem neuen Album „Vapor City“ mit Elementen aus Jungle und Drum’n’Bass, nachdem er auf seinem Vorgänger „Room(s)“ die Möglichkeiten der Stakkato-Beats von Footwork ausgetestet hatte. Auf Tracks wie „Gunshotta“ kombiniert Travis Stewart Amen-Breaks mit Vocalsamples und dem obligatorischen Subbass und schafft so eine düstere Atmosphäre.
Und auch Lee Bannon, der vor allem für instrumentalen Hip-Hop bekannt ist, widmet sich auf seinem neuen Album und dem Debüt für Ninja Tune exzessiv dem Amen Break. In seinen Tracks, die oft eher nach Fragmenten als nach fertig dosierter Musik klingen, entwickelt er einen neuen Ansatz zu Jungle. Das Album „Alternate/Endings“ zeigt in seiner tiefen Düsternis und Bannons Umgang mit musikalischen Elementen wie Drum-Samples oder Synths, wie eine von Jungle inspirierte, aber eigenständige Musik klingen kann.
Special Request, Four Tet, Machinedrum und Lee Bannon waren nicht die einzigen, die auf Jungle als Inspirationsquellen zurückgriffen. Auch der Footwork-Produzent DJ Rashad aus Chicago öffnete sich auf seinem Album „Double Cup“ dem Amen Break, Akkord zitierte Elemente aus Jungle kunstvoll im kleinsten Maßstab auf ihrem selbstbetitelten Debütalbum, Etch lieferte sogar eine thematisch orientierte EP mit dem Titel „Old School Methods“ und Tessela sorgte mit seinem entschleunigten Hardcore-Jungle-Hybrid „Hackney Parrot“ für einen der herausragenden Tracks 2013. Auch Mark Pritchard oder Om Unit wandten sich Jungle und Hardcore zu, der Musik, die sie in den 1990ern faszinierte.
Jungle war wohl niemals tot, das wissen die Heads am besten, aber die angesprochenen Veröffentlichungen hoben den Amen Break aus einer kleinen Nische zurück auf die größeren Tanzflächen der Elektronikmusikszene. Obwohl es keine „Wiederbelebung“ des Genres ist, bringt es erfrischende Abwechslung zur häufig dominierenden 4/4-Bassdrum – vorausgesetzt, der Hype bleibt nicht nur Hype, sondern wird zum bleibenden Einfluss.
(Foto: Nrgiza / Wikipedia CC)