Wer sind Polly & Bob? Diese Frage werden sich in den letzten Monaten wohl schon einige Berliner gestellt haben. Denn in der ganzen Stadt finden sich Plakate, Aufkleber und Medienberichte über das ominöse Duo. Polly ist Mutter, alleinerziehend, Sängerin in einer Band. Bob kommt aus Pennsylvania, lebt in einer WG und ist jetzt Designer. Beide leben in Berlin. Beide haben ihre Namen dem Projekt „Polly & Bob“ gegeben. Und beide sind frei erfunden.
„Polly und Bob sind Nachbarn, die herausgefunden haben, dass es sich lohnt, sich Zeit füreinander zu nehmen“, erklärt Volker Siems, der Gründer des Nachbarschaftsnetzwerkes „Polly & Bob“. Dieses hat zum Ziel, das Zusammenleben in der Nachbarschaft zu verbessern. „Ich wollte es erst anders nennen, zum Beispiel ‚Bob der Bieber‘. Das hat aber nichts mit der Geschichte zu tun. Und meine Frau meinte, da müsse unbedingt noch eine Frau rein.“
Das Netzwerk existiert seit Juli 2013 und hat seinen Ursprung in Friedrichshain. Bekannt wurde es vor allem mit der Aktion „Die Nacht der singenden Balkone“. Über 30 Friedrichshainer Balkone haben an dieser Aktion im November teilgenommen, bei der unbekannte Künstler musiziert, geschauspielert und vorgetragen haben. Andere Events folgten, wie zum Beispiel das „Running Dinner“, bei dem Nachbarn für Nachbarn kochten, oder die „Kiez-Weihnacht“, bei der jeder Gast darum gebeten wurde, ein Wichtelgeschenk mitzubringen.
Hinter „Polly & Bob“ versteckt sich die große Frage: Wie wollen wir in einer Gesellschaft leben, die komplett vom Geld abhängig ist? Entsprechend der Philosophie der „Collaborative Consumption Economy“, also eines Wirtschaftssystems, das auf kollaborativen Konsum setzt, wird auf der Homepage alles Mögliche geteilt: von Carsharing über kostenfreie Tai-Chi-Treffen bis hin zum Angebot „Mietertreffen Friedrichshain“ ist alles zu finden. Mit „Polly & Bob“ hat Volker Siems versucht eine Plattform aufzubauen, bei der es, neben dem wirtschaftlichen Aspekt, vor allem um Nachbarschaft geht: „Ich denke, was uns Menschen ausmacht, ist, dass man mit anderen Menschen zusammenkommt. Das geht uns jedoch zunehmend verloren. Wir laufen schnell zur Arbeit und wieder nach Hause, wo wir im Internet rumhängen, und versuchen immer alles mit Geld zu lösen. „Polly & Bob“ möchte einen Gegenpol dazu bilden und einen Anreiz schaffen, wieder zusammenzukommen.“ Kurz gefasst: Online verabreden, offline treffen.
Mit dem Konzept scheint er einen Nerv getroffen zu haben. Immer mehr Gruppen finden sich ein, die gerne gemeinsame Sache mit dem Netzwerk machen möchten. Zum Beispiel das „Café auf halber Treppe“, bei dem Kaffeekränzchen in Berliner Treppenhäusern angeboten werden, damit sich die Nachbarn besser kennenlernen. Viele weitere Aktionen sind geplant. Sobald die Finanzierung steht, soll ein „Polly & Bob Leihladen“ entstehen. Regelmäßig werden auf Facebook neue Aktionen veröffentlicht, wie zum Beispiel das nächste Zusammenkommen des „Vätertreffs“ oder Einladungen zum „Friedrichshainer BüchertauschTee“. Volker Siems sucht derweil nach Wegen, um auch Menschen zu erreichen, die sich nicht ständig im Netz rumtreiben. Es gibt also noch viel zu tun.
„Polly & Bob“ ist für alle gedacht. Jeder kann mitmachen. „Wir haben keine speziellen Zielgruppen. Wenn jemand Hilfe braucht, dann kann er bei uns danach suchen“, erklärt Volker Siems. Trotzdem entsteht bei der Beschreibung der Personen Polly und Bob der Eindruck, dass nur ein bestimmter Schlag Menschen angesprochen wird. Das sieht auch der Netzwerkgründer so: „Sicher, ‚Polly & Bob‘ ist für Macher gemacht. Für Leute, die nicht nur zu Hause Couchpotato-mässig abhängen, sondern wirklich rausgehen und was machen wollen. Einer unserer Wahlsprüche ist: Nimm dir die Zeit, bereichere dein Leben!“
Hinter „Polly & Bob“ steckt mehr als nur eine fixe Idee. Volker Siems hat viel investiert und sich dem Projekt ganz und gar verschrieben: Seinen Job hat er gekündigt, eine Startfinanzierung von 20.000 Euro angesetzt. Auf der Facebook-Seite wird auch schon fleißig um Praktikanten geworben. Erstmal unbezahlt, versteht sich.
(Foto: Raissa Schreiner)