Das Berghain erhebt sich aus der nächtlichen Tristesse des Gewerbegebiets am Ostbahnhof. Schon von der Straße aus spüren die Nachtschwärmer den Bass, der durch die dicken Steinmauern des ehemaligen Elektrizitätswerkes wummert. Vor der Tür bildet eine bunte Mischung aus Hipstern und Normalos, Schwulen und Heteros, Berlinern, Zugezogenen und Touristen aus der ganzen Welt eine lange Schlange. Schubweise bewegt sie sich in Richtung Ziel – dem Türschlitz, der sich alle 2 Minuten öffnet. Eine Gruppe von fünf Spaniern bespricht leise, wie sie sich aufteilt, damit die Freunde die Party gemeinsam erleben können. Sie flüstern sich Geschichten zu über „Freundesfreunde“ die abgewiesen wurden. In der vordersten Reihe herrscht angespannte Stille. Nervöse Blicke fallen auf die Tür. Denn inzwischen hat auch der letzte hier verstanden: die Türsteher von Berlins bekanntester Techno-Hochburg sortieren besonders streng aus. Die „härteste Tür der Stadt“ passiert nur ein Bruchteil derer, die sich hier teilweise stundenlang die Füße platt stehen. Dann ist er da – der Moment der alles entscheidet. Der Türsteher taxiert die Gruppe vor ihm mit festem Blick. Er verzieht keine Miene. Wenige nervenzerreißende Sekunden verstreichen. Seid ihr zu dritt? – Ja. Kurz schaut er zu einem Kollegen rüber, das eingespielte Team tauscht sich stumm aus. Dann die Erlösung: ein angedeutetes Nicken in Richtung Tür reicht als Antwort. Du bist drin.
Diese Praxis der „Selektion“ in vielen Berliner Clubs hat in der Vergangenheit allein wegen der Wortwahl Kontroversen hervorgerufen. Zuletzt fühlte sich der Journalist Sebastian Höhn von der Berliner Zeitung durch die Türsteher des KaterHolzig ordentlich auf den Schlips getreten und verglich den Club mit der Rampe in Ausschwitz. „Hausrecht“ nennen die Juristen das, „Diskriminierung!“ schreien die Kritiker. Die Attraktivität eines Clubs scheint für viele jedenfalls um so größer, je strenger die Auswahl der Gäste erfolgt. Die Musterung an der Tür bringt Adrenalin, das Unbehagen vor der Entscheidung des Türstehers wandelt sich in Glücksseligkeit, gehört man zu den Auserwählten, welche die Schwelle passieren dürfen. Es ist der Stolz zu einem erlauchten Kreis zu gehören, der das Selbstwertgefühl steigert. Der eine Augenblick, der über den Ausgang der Nacht entscheidet, ist wie ein Spiel.
Die Schlüsselfiguren in diesem Spiel sind die Türsteher. Der Berliner Fotograf Philipp Plum beschreibt es so: „Selekteure und Türsteher repräsentieren Stil und Regeln der Welt hinter der Tür. Sie stehen symbolisch für das Nachtleben dieser Stadt.“ Der Absolvent der renommierten Ostkreuzschule für Fotografie hat sie fotografiert und einen spannenden Rollentausch geschafft: Seine Fotoreihe „Berlin Bouncer“ lässt jene, die sonst mit einem geübten Blick entscheiden, wer mitfeiern darf, zu denen werden, die taxiert werden.
Doch Plum hat die „Wächter der Nacht“ nicht nur mit der Kamera portraitiert, sondern auch mit ihnen gesprochen. Statt sich mit dem Politikum der „Selektion“ auseinanderzusetzen, erzählt Plum mit seinen Fotos die Geschichten hinter dem Klischee des „Rausschmeißers“. „Clubs werden schlecht geredet weil die „Tür zu hart“ ist, andere werden aus diesem Grunde umso attraktiver. Aber darum geht es in meiner Arbeit nicht. Für mich hat es einfach etwas Außergewöhnliches, dem Tag den Rücken zu kehren und in der Nacht zu leben,“ stellt er klar. Abseits des Stereotyps vom bulligen Muskelschrank zeigen seine Fotos auch taffe Frauen, die an Berliner Türen das Heft in der Hand halten.
Seine Motive vor die Linse zu bekommen, war trotzdem alles andere als einfach. Denn dass Türsteher die Öffentlichkeit scheuen, ist kein Geheimnis. „Anfangs war das schwer. Manchmal musste ich drei, vier Mal vergeblich warten, bis die Person dann doch noch zu einem Termin kam,“ erklärt Plum. Nach ersten eher zufälligen Kontakten zur Szene durch seinen Nachbarn „BamBam“, der im „White Trash“ arbeitete, musste der Nachwuchsfotograf behutsam Klinken putzen. Mittlerweile hat Plum für „Berlin Bouncer“ etliche bekannte Gesichter der Nacht abgelichtet. So viele, dass zusammen mit der Fotoreihe „Berlin Bouncer II“, die Berliner Clubs zeigt, bald ein Buchband entstehen soll. Nachdem er den „Preis für das beste Einzelfoto“ beim „Vattenfall Fotopreis“ gewann, wurde seine Reihe 2013 im C/O Berlin in der Preisträgerausstellung gezeigt.
Wisst ihr, wer vor welcher Tür steht?
Die restlichen Fotos aus den Fotoreihen „Berlin Bouncer I+II“ findet ihr hier.
(Fotos: Philipp Plum (c) )