„Spanier in Clubs sind die Rache für Mallorca“

Foto: Fly Watergate Open Air von Jesper Ipsen/ EASYdoesit

Berlin, Hauptstadt des Technos. Dies wissen nicht nur Einheimische zu schätzen, sondern Partywütige auf der ganzen Welt. Wer also mal eben ein Wochenende durchfeiern möchte, setzt sich in den Billigflieger und düst nach Berlin. In den Sommermonaten sind täglich etwa eine halbe Million Besucher in der Stadt, weiß Kulturmanager Nils Gelfort. Feierwütige Easy Jet-Touristen aus Spanien, Italien und Frankreich haben für Berliner Clubs aus dem einstigen Sommerloch ein Sommerhoch gemacht.

Die Nutznießer der Entwicklung sind seltsamerweise wenig erfreut. Auf Szeneveranstaltungen wie der „Bermuda“ klagt der Watergate-Betreiber Steffen “Stoffel” Hack sein Leid: Früher konnte er im Sommer seinen Club schließen und in den Urlaub fahren! Sommer 2013 müsse er jedoch jede Nacht um die 400 Gäste abweisen. Der Massenandrang von Touristen ist Stoffel nicht recht, denn eigentlich will er doch ganz „underground“ sein.

Ein schizophrenes Verhältnis zum Geldverdienen treibt Berlins Szenekapitalisten um.

Aber so viel Kapitalist ist Stoffel dann doch, dass er seinen Club im Sommer nicht schließt. Denn da füllt sich der Club mit den Touristen wie von selbst, selbst wenn er sie mit einem verhältnismäßig preiswerten und künstlerisch „minderwertigen“ Musikprogramm beschallt, wie er selbst sagt. Berliner Szenekenner finden das wenig interessant und bleiben in diesen Monaten weg – die Touristen feiern dann im Watergate weitestgehend unter sich. Wenn sie abziehen, weil sie den grauen Berliner Herbst fürchten, dann bangt Stoffel jedes Jahr, ob die Berliner das „Watergate“ wieder zurücknehmen.

Auch die „Berliner“ unter den Clubbesuchern betrachten Party-Touristen abschätzig. „Spanier in Clubs sind die Rache für Mallorca“ wandert als Slogan durch die sozialen Netzwerke. „Jetzt, wo die Touris das mit dem Sonntag im Berghain verstanden haben, müssen wir wohl Montags hin.“ seufzen Insider.

Doch nicht alle Touristen sind gleich. Nils Gelfort hat zwei Arten von Party-Touristen ausgemacht. Da gibt es den “Resident Advisor”-Jetset: internationale Gäste, die wegen bestimmter DJs und Produzenten auftauchen. So behaupten sie es jedenfalls glaubhaft. Und dann die ungern gesehenen Ahnunglosen, deren Vergnügen darin besteht, etablierte Verhaltensformen der Provinzdiskothek auch in Berliner „Underground“-Clubs zu importieren: Besaufen, Herumbaggern und Abschleppen.

Herausforderung für Berliner Clubs: Touristen abgreifen, aber gleichzeitig Selbstachtung behalten.

Berliner Szenemenschen zerbrechen sich deshalb den Kopf. Wie kann man die cashcow “Tourist” weiter melken und gleichzeitig die Selbstachtung nicht verlieren? Schließlich hängen mittelständische Betriebe und das Boheme-Leben zahlreicher Musikproduzenten und Freunde davon ab. Und wie kann man gleichzeitig sein Gesicht vor Künstlern und Freunden aus alten Zeiten wahren, bei denen „Kommerz“ und Bling Bling-Vergnügen Ekel auslöst?

Einige der Berliner Clubmacher beziehen deshalb gern lautstark Position in der politischen Diskussion um Stadtentwicklung. Berlin müsse gegen Gentrifizierung einschreiten, fordern sie. Der Bau neuer Hostels in Szenebezirken solle verhindert werden und Billigflieger die Stadt nicht mehr anfliegen! Grund: Die Ausrichtung der Stadt auf die Bedürfnisse von Touristen führe zu höheren Mieten, die es Kreativen immer schwieriger macht, in Berlin von Kunst zu überleben. Die derzeitige Entwicklung sieht anders aus, diagnostizieren sie. Die Stadt wünsche Billigflieger voller Touristen, die an einem Wochenende schnell mal um die 400 Euro in Berlin lassen, lästert Johnnie Stieler, Ex-Tresor und Ex-Horst Kreuzberg auf einem Podium bei der „Bermuda“.

Reden sich manche Berliner Clubs die Realität schön, wenn sie mit dem Finger auf andere zeigen? Denn genauso wie Hostels und Vermieter von Ferienwohnungen sind die Technoclubs mit international renommierten Programm zentrale Motoren der “Touristification” Berlins. Ihr weltweiter Ruf und ihre idealisierende Selbstdarstellung einer “kulturell” relevanten “Berliner Partykultur” motivieren junge, feierlustige Touristen dazu, hierher zu kommen. Und wieviel Prozent der regulären Berliner geht schon wegen dem musikalischen Programm aus?

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(Foto: Fly Watergate Open Air von Jesper Ipsen/ EASYdoesit)