Es muss wohl ein entspannter Abend gewesen sein, an dem Detlef Dietrichsen, ehemals Chefredakteur eines einflussreichen Musikmagazins mit Hang zu hyperkomplexer akademischer Theorie, überlegte, wie er wohl eine mehrtägige Veranstaltung gestalten könnte, bei der es um „böse“ Musik geht. Es handelt sich dabei um ein dankbares Thema, um Gedanken schweifen zu lassen, denn dank „Stirb langsam“, der Bibel und George W. Bush wissen wir nur zu gut, wer und was böse ist. Nur die Verbindung mit Musik ist nicht so ganz klar. Musik selbst ist vielleicht laut und leise, schnell und langsam, harmonisch oder dissonant, aggressiv oder zart – aber Melodie und Rhythmus entzieht sich einer moralischen Beurteilung. Wenn dann doch von „böser“ Musik die Rede ist, dann wird Assoziationsbingo gespielt. Und dabei ist es dann ganz beruhigend, dass auch so belesene Menschen und Denker wie Detlef Dietrichsen als Kuratoren gleich bei populären und unterhaltsamen Klischees hängenbleiben, die einem so einfallen bei zwei Glas gutem Rotwein.
Die wären: Böse Musik ist Marschmusik. Weil der militaristische Opa auf den strammen 2/4-Takt abfährt! Also lädt sich das Haus der Kulturen der Welt das Polizeiorchester ein. Noch böser als die alten sind fiese Nazis-Fressen. Die grölen und raufen sich zu ekligem Punkrock-Geschrammel mit menschenverachtenden Texten. Das Haus der Kulturen der Welt zeigt dazu die investigative Dokumentation „Blut muss fließen“ von Peter Ohlendorf, der jahrelang in der rechten Szene recherchiert hatte. Von rassistischen Großmäulern ist es zu finsteren Satansanbetern nicht weit. Der Aussteiger Erlend Erichsen stellt seinen Insider-Roman „Nationalsatanist“ vor, in dem er seine Erfahrungen innerhalb dieser Szene verarbeitet.
Weiterhin fielen dem Kurator zu „böse“ noch ein: Krieg, Folter, Mafia, Hass-Rapp, Voodoo. Das wirkt alles ein bisschen spontan assoziiert, aber die praktische und theoretische Aufarbeitung verspricht reizvoll zu werden. Anschauungsbeispiele geben Performances und Konzerte von Dubstep-Ikone und Sound-Forscher Kode9, Schauspieler Robert Stadlober, Experimental-Musiker Axel Krygier und dem oben genannten Berliner Polizeiorchester. Theorie dazu liefern Filmvorführungen und Lesungen sowie die kultiviert akademische Diskussion von Musikwissenschaftlern auf der Bühne. Da verzeiht man vielleicht auch die schrille Themensetzung: Gibt es eine bessere Überschrift, um sich mal über den Gebrauch von Musik unter finsteren Gestalten zu unterhalten?
Das ganze Programm auf einem Blick:
Do 24.10. 20 Uhr „Pure Hate“ – Hassrapp-Performance mit Ale Dumbsky, Robert Stadlober, Volkan Terror, Jetztmann / 21 Uhr „Zarte Blüte Hass“ mit The Schwarzenbach / 22 Uhr „Böse Lounge“ mit Lars Brinkmann
Fr 25.10. 15:30 Uhr „United States of Hoodoo“ – Doku über Voodoo im Süden der USA) / 17:15 Uhr „Böse Instrumente“ – Performance mit Ebba Durstewitz / 18 Uhr „Böse Schwingungen“ – Podiumsdiskussion mit Musikwissenschaftlern / 20 Uhr Sunpie And The Louisianna Sunspots – Konzert / 21:30 Uhr Sagbohan Danialou – Konzert / 23 Uhr „Böse Lounge“ mit Val Inc
Sa 26. 10. 15:30 Uhr „Blut muss fliessen“ – Undercover-Doku von Neonazi-Konzerten / 17 Uhr „Nationalsatanist – Lesung mit Erlend Erichsen / 18 Uhr „Musik als Waffe“ – Doku mit Kode9 / 19 Uhr „Martial Hauntologies / Undsound Histories“ – Performance mit Kode9 / 20 Uhr „Marschmusik“ mit dem Bundespolizeiorchester / 21:30 Uhr „Polca Hurricane – Cohiros Prohibidos“ – Konzert mit Michael Farin + Zeitblom / 22:30 Uhr „Böse Lounge“ mit Kode9
So 27. 10. 14:30 „Narco Cultura“ – Doku über die Musik der mexikanischen Drogenkartelle / 16:15 Uhr „La Musica Della Mafia“ – Performance mit Francesco Sbano / 17 Uhr „Oden ans Verbrechen“ – Podiumsdiskussion über Musik im kriminellen Milieu / 18 Uhr „Schöne böse Welt“ – Podiumsdiskussion / 20 Uhr „Colombian Dark Tropical“ – Konzert mit Duo Chupame El Dedo / 21 Uhr „Hombre Del Piedra“ – Konzert mit Axel Krygier
(Foto: Taalroth von der Black Metal Band Hindvir, 11.10.2008, wikicommons: Vassil)