Gold Panda – Half Of Where You Live

gold panda-cover Gold Panda, der britische Elektroniker mit dem niedlichen Künstlernamen, hat seit dem Erfolg seines Debuts „Lucky Shiner“ (2010) viel Zeit außerhalb von London verbracht. Das zentrale Thema auf dem Erstling war Nostalgie, die Platte schwelgte vor Erinnerungen und bereitete sie unterschiedlich verklärt auf. Für „Half Of Where You Live“ zieht Derwin Powers alias Gold Panda Inspiration aus Aufenthalten in São Paolo und London, sowie aus Filmen von Takashi Miike. Ihn interessiert dabei vor allem die Unterschiedlichkeit der Städte. Entsprechend ist auch der Sound des neuen Albums nicht irgendwo geographisch zu verorten. Er trägt stattdessen ganz unterschiedliche Klangfragmente verschiedener Orte und Kulturen zusammen und zeichnet trotzdem das Bild der gemeinsamen Struktur der Orte nach, die viele Flugstunden auseinanderliegen: die Stadt als globaler Ort des Zusammenlebens, mal verschmutzt und zugemüllt, mal als Hort einer lebenswerten „Community“.

Formal bedient sich Gold Panda musikalisch bei House und Techno. In den Genres lässt sich in der rhythmischen Wiederholung die Gleichförmigkeit moderner Städte in verschiedenen Spielarten wiederfinden. Zwischen den strukturgebenden Beats sucht Gold Panda nach Raum für Unterschiedlichkeit. So verknoten sich gleich im ersten Track Marimbas und Streicher in einer Hookline, die Assoziationen zu Chicago House weckt. Atmosphärische Geräusche kommen und gehen zufällig und bewegen scheinbar eigenständig neben dem Beat. Auch in den folgenden Tracks zerhackt Gold Panda Geräusche in kleinste Klangeinheiten und fügt sie akribisch zu neuen Melodien zusammen. Einzelne Worte und Phrasen lässt er sich wiederholen, bis sie zum Mantra werden. Manchmal meint man, einen klassisch „eingespielten“ Synthesizer zu hören, aber das meiste sind kleine Teile von Klängen, die vorwärts, rückwärts und seitwärts zu etwas Neuem konstruiert werden. Die entstandenen Loops überlagern sich auf verschiedenen Ebenen und schaffen so eine Collage, zu der sich jeder selbst etwas denken kann.

„Community“ bildet einen Höhepunkt des Albums. Eine orientalisch angelehnte Melodielinie aus dem Synthesizer und vertraute Klänge der 808-Drummachine verschmelzen zu einem treibenden Beat, der viel Raum zwischen den einzelnen Elementen lässt: diese Melodie verliert auch nach 4 Minuten nichts an Zugkraft. Dazu kommt ein kurzes Stimmschnipsel, dass sich stetig wiederholt und vage nach „You Won’t Do Something“ klingt. Doch gerade dieser herausragende Track verdeutlicht zugleich das Problem von Gold Pandas „Half Of Where You Live“: Track als auch Album sind nicht durchweg interessant, beide haben zu wenige Höhepunkte. So bleiben nur drei von insgesamt zehn Tracks – „Junk City II“, „Community“ und „Reprise“ – nach mehrmaligem Hören in Erinnerung. Der Rest bleibt beiläufig, er scheint irgendwo im schwer erschließbaren Hinterland der Metropolen zu liegen. Diese Tracks ziehen sich in die Länge, wie das vorab veröffentlichte „We Work Nights“. Dieser ist von den endlosen Nachtschichten am Flughafen London Stansted inspiriert, auf dem Derwin Powers zeitweise gejobbt hat, und all jenen gewidmet, die dort zu unmöglichen Zeiten für miese Löhne arbeiten müssen.

Der eigenständige Stil von Gold Panda ist auf „Half of Where You Live“ etwas distanzierter geworden: Zuhörende nehmen nicht mehr so unmittelbar teil am musikalischen Geschehen. Die Beats sind maschineller, die Geräusche etwas geschliffener und konventioneller verarbeitet. In den Tracks passiert vergleichsweise weniger als auf dem Debüt „Lucky Shiner“. Insofern wird das neue Album seinem Thema gerecht: es vertont gefällige, aber etwas beliebige Fassaden austauschbarer globalen Metropolen.

Reinhören:


Tracklist:

  1. Junk city II
  2. An English House
  3. Brazil
  4. My Father In Hong Kong 1961
  5. Community
  6. S950
  7. Flinton
  8. Enoshima
  9. The Most Liveable City
  10. Reprise

(ghostly international)