Disclosure – Settle

Disclosure - Settle / (C) LabelMit 18 (oder auch mit 21) soll alles erst mal Spaß machen. Das Leben soll sich anfühlen wie ein sorgloser Trip durch fremde europäische Städte, auf dem man tagsüber Fotos mit dem Smartphone verschickt und abends zwischen Einheimischen tanzt. Nichts liegt ferner als „to settle“ – anzukommen, sich niederzulassen und sich komfortabel einzurichten. Das Feuer soll brennen, alles, was nervt, ist bloß weißes Rauschen, bloß vorbei ziehendes Hintergrundgeräusch.

Guy und Howard Lawrence aus einer Kleinstadt südlich von London sind gerade 18 und 21 und veröffentlichen jetzt ihr lang erwartetes Debütalbum „Settle“. Als Disclosure sind sie durchaus schon angekommen: in der Future Garage-Szene Großbritanniens, an der Oberfläche des Dance-Pop, in den Herzen eines vernetzten Publikums, das euphorisch „Likes“ verteilt. Das Cover ihres ersten Albums „Settle“ zeigt die Brüder trotzdem als unbekümmerte Kleinkinder. Ihre Gesichter sind dort mit weißen Linien überkritzelt – das Design-Markenzeichen ihrer durchgestylten Produkte. Denn bei Disclosure ist alles aus einem Guss. Auch und vor allem die Musik.

„Settle“ ist ein lupenreines, konsequentes Tanzmusik-Album geworden, das die synkopischen Garage-Beats der früheren Stücke größtenteils durch eine sehr homogene, sehr urbane Klangwelt ablöst. In ihr verschmilzt vieles, was zwischen städtischer Jugend und Erwachsenwerden eine Rolle spielen kann: Herumhängen als Slacker, Erlebnissen hinterherjagen als Geezer, durch die plötzliche Freiheit ausgelöste Feierlaune und Melancholie, zudem schier unerschöpfliche jugendliche Energie und sexuelle Spannung, die Disclosure vor allem im Soul der Gesangsparts und in den atmosphärisch dichten Videos transportieren. Das alles findet auf konstanten 130 Beat per Minute statt. Und obwohl das so universell ist, klingt es bei Disclosure irgendwie typisch britisch und ausgesprochen authentisch.

Dafür bedienen sich die Jungs eines allerdings recht begrenzten Repertoires an Sounds und Stilmitteln, was besonders anhand der immer gleichen 4/4-House-Rhythmen auffällt. Auch die mal verschwommenen, mal präzisen, mal weichen und mal aggressiven Synthies hören sich bei zahlreichen Tracks ziemlich ähnlich an. Profil bekommen acht der 13 Stücke dennoch dank der durchweg hervorragenden Gastsänger, unter anderen Jamie Woon, Jessie Ware und Sam Smith. Letzterer, auch gerade erst 21 geworden, macht „Latch“ zum unschlagbaren Höhepunkt des Albums, wenn nicht gar zu einem Dancefloor-Klassiker, und empfiehlt sich nebenbei für eine steile Urban Soul-Karriere. An dieser und an den anderen erfolgreich ausgekoppelten Singles sieht man dann auch, dass Guy und Howard Lawrence zwar keine Meister des komplexen Songwritings sind, dafür aber ein Gespür für Eingängigkeit haben.

Man kann nun einwenden, dass solch hedonistische Stimmungsmusik auf Albumlänge doch etwas monoton und selbstreferentiell ist und weder Tiefgang noch Überraschungen bietet. Man kann es aber auch so sehen, dass Disclosure gekonnt ihr Ding durchziehen und mit dem Album schnurgerade nach vorne gehen, immer die Hauptstraße entlang, ruhelos und voller Energie. An einer Kreuzung nur wechselt die Ampel kurz auf Rot: „Second Chance“ (das verdächtig nach dem Eröffnungsstück der legendären „K&D-Sessions“ von Kruder und Dorfmeister klingt) erlaubt einen kurzen Blick nach links und rechts in die Seitenstraßen. Durch Recycling von Disclosures erstem Lebenszeichen „Tenderly“ stellt er als einziger Albumtrack eine Querverbindung zur Vergangenheit der Jungs her – und deutet vielleicht an, wohin es in der Zukunft gehen könnte: verzerrte Stimmen und abstraktere Struktur, wieder mehr Future, wieder mehr Garage.

Denn eines ist bei aller Sympathie für das Duo klar: „Settle“ ist ein solides Fundament, eine erste Niederlassung, ein gut produziertes, „slick“ und zeitgemäß klingendes Debütalbum. Die Brüder haben eindeutig Talent für funktionierende Clubmusik und reichern diese mit frischen Impulsen aus dem Underground an, was den breiten Erfolg von Disclosure im Formatradio und bei der Kellerparty erklären dürfte. „Settle“ könnte so zu einem Party-Konsensalbum à la Daft Punks „Discovery“ werden, das man durchlaufen lassen kann, weil hier jeder seinen Lieblingstrack findet. Nahezu jedes Stück ist auf seine Weise catchy. „I tried to resist, but you caught me“, heißt es im Song „Voices“ – obwohl man sich erst gegen die simplen Beats und Melodien wehrt, kriegen sie einen doch. Und das ist auch gut so. „Settle“ kann nämlich auch heißen: sich einigen, etwas erfüllen, sich beruhigen und es geschehen lassen. Na dann los.

Vorhören:


Tracklist:

  1. Intro
  2. When A Fire Starts To Burn
  3. Latch (feat. Sam Smith)
  4. F For You
  5. White Noise (feat. AlunaGeorge)
  6. Defeated No More (feat. Ed MacFarlane)
  7. Stimulation
  8. Voices (feat. Sasha Keable)
  9. Second Chance
  10. Grab Her!
  11. You & Me (feat. Eliza Doolittle)
  12. January (feat. Jamie Woon)
  13. Confess To Me (feat. Jessie Ware)
  14. Help Me Lose My Mind (feat. London Grammar)

(Island)