Husky Rescue – The Long Lost Friend

Husky Rescue - The Long Lost Friend / (C) El Camino Records

Stellen wir uns ein Land vor, in dem es keine Städte gibt, nur idyllische Dörfer, die zwischen sanften Anhöhen ruhen. Schornsteine rauchen, Kutschen fahren, auf den Feldern wird Heu gemäht. Es ist September, ein heißer Sommer klingt aus, bald ist Erntefest. Die Leute gehen besonnen ihrem Alltag nach. Die Filmkulisse für eine melancholische Geschichte aus alter Zeit.

Ganz klar: dieses Land liegt in Finnland. Beziehungsweise: in finnischer Phantasie. Denn hinter Husky Rescue steckt Marko Nyberg aus Helsinki, dessem viertes Album „The Long Lost Friend“ in einer solchen Landschaft zu spielen scheint. Er wolle mit seiner Musik einen Gegenpol zum eisigen Leben im hohen Norden setzen, wird Nyberg zitiert, Filmregisseure wie David Lynch seien dabei wichtige Einflüsse. Eine Art Soundtrack zu einer Wunschwelt wollen Husky Rescue also machen – und das ist ihnen auch dieses Mal wieder gelungen. Nach drei erfolgreichen Longplayern hat sich Nyberg dafür allerdings von seinen bisherigen Mitstreitern getrennt und „The Long Lost Friend“ mit dem Engländer Anthony Bentley und der schwedischen Sängerin Johanna Kalén aufgenommen.

Die acht neuen Stücke des Trios sind warme, dunkle, atmosphärisch dichte Kleinode geworden, die interessante Geschichten erzählen. Lounge kann man das nicht mehr nennen, dafür ist es zu versponnen, für Jazz ist es zu eingängig und geschliffen. Vielleicht: Elektro-Country-Pop? Mit Elementen von Kammermusik? Das Bett bilden bedrohliche Bässe und düstere Synthie-Schnipsel, gemischt mit echt eingespielten Streichern; die kristallhelle Stimme Kaléns und die gelegentlichen Chorpassagen bilden einen starken Kontrast dazu. Bei einem Stück wie „Colors“ fühlt man sich fast schon unbefugt anwesend, so intim zerbrechlich ist der Gesang.

Gut, so etwas liest man oft – aber Husky Rescue heben sich nicht nur durch ihre organische und individuelle Klangfarbe ab, sondern auch dadurch, dass sie nonchalant auf klassische Songstrukturen verzichten. Statt dessen bieten sie ungewöhnliche Dramaturgien, die zuerst wenig Orientierung bieten, weil sie sich anschleichen und den Hörer dann hinterrücks erwischen. Die Lieder sind wie Traumgesänge, sie ziehen in einen weichen, umarmenden Bann, vorsichtig aber bestimmt. Und ehe man sich versieht, ist man mittendrin und streift mit Johanna, Marko und Anthony durch die grünen Hügel Fantasy-Finnlands.

Dort wird die Musik zum lebendigen Fluss und führt von der Quelle, illustriert durch eine instrumentale Exposition in Pizzicato, durch den Wald und dann aufs weite Land. Prompt heißt das dritte Stück „River“ und berichtet hymnisch von einem Ort versteckt hinter Wasserfällen. Bei „June“ vertont das Geklicker vielleicht das sommerliche Treiben in einem belebten Dorf, das der traurige Chor vom Rande aus beobachtet. „Mountains Only Know“ gebiert sich als ironisches Kinderlied mit viel „Tralala“ in einem Text, der „in Kaffeekrümeln“ geschrieben sei, doch auch hier schlummert etwas unter der Oberfläche: Ein Freund meine es am ehesten ernst mit einem, wenn er Unterstützung brauche, singen Husky Rescue bittersüß. Im überraschend treibenden Folgetrack geht es dann um den lange verlorenen Freund aus dem Albumtitel – oder um das lange verlorene Ich, was womöglich dasselbe ist. Und zum Schluss wird euphorisch von einer Feier im Baumhaus gesungen, bei der „frische Cupcakes und Chai“ serviert werden.

So klingt das wohl, wenn sich kurze Sommer gegen den übermächtigen Winter aufbäumen, wenn die Sonne immer auch die Melancholie bringt, dass sie ewig unterlegen bleibt. Strukturell und ein bisschen auch musikalisch erinnert „The Long Lost Friend“ übrigens an „Ritual Union“ von Little Dragon aus Schweden. Beide Alben ließen den Hörer mit dem Gefühl zurück, all diese kleinen Melodien von irgendwoher zu kennen. Vielleicht hat man sie schon mal im Traum gehört? Auf jeden Fall sind sie Ausdruck des Rückzugs in eine detailreiche, wärmende Innenwelt, während draußen der Eiswind weht. Und da Mastermind Nyberg damit nicht nur die klimatische, sondern auch die gesellschaftliche Kälte in den Städten gemeint haben soll, taugt sein neues Album auch zum Trost für urbane Mitteleuropäer.

Tracklist:

  1. Restless Feet
  2. Under Friendly Fire
  3. River
  4. Colors
  5. June
  6. Mountains Only Know
  7. The Long Lost Friend
  8. Tree House

(El Camino)