Vor einem Jahr etwa besuchte ich ein Konzert der mir damals nur sehr diffus bekannten wahnsinnigen Elektroniker Gus Gus – und zwar in ihrer Heimatstadt Reykjavík. Was ich dort zu sehen bekam, war mir ziemlich neu: in einem Club, der sehr nach geschmackloser Vergnügungsstätte für Neureiche aussah und sich direkt gegenüber dem isländischen Parlament befand, drängten sich Hunderte manchmal alienhaft blonder und seltsam süßlich riechender Gestalten, die schon vor dem Konzert so betrunken zu sein schienen wie man es hierzulande danach ist. Als es dann losging und brutale Salven harter Bässe die Menge in (torkelnde) Bewegung versetzte, wuchs die Seltsamkeit der Ausgangslage exponentiell an. Schon bald wurden diejenigen, die es mit den Drogen etwas übertrieben hatten, wie lästiger Abfall zur Seite oder auf volle Tische geworfen. Touristen aus Osteuropa stolzierten inmitten des Infernos auf und ab und konsumierten das einzige, was neben Bier ausgeschenkt wurde, nämlich Vodka, gepanscht mit gruseligen Energydrinks. Zum Tanzen gehörte es, seine Nachbarn forsch aus dem eigenen Bewegungsraum zu rempeln, was zu ständig umfallenden Aliens führte, die einfach wieder aufstanden, als seien sie unverwundbar. Nachdem Gus Gus die bizarre Szene etwa eine Stunde lang befeuert hatten, mussten wir wegen akuten Kulturschocks auf die Straße gehen, wo die gesamte Jugend Islands besoffen und sich prügelnd auf der Straße zu taumeln und zu liegen schien.
Warum erzähle ich das? Weil das lang erwartete neue Album „24/7“ diese Erinnerungen komplett wieder hervor geholt hat. Die Aggressivität der beschriebenen Szene pulsiert die ganze Zeit über im Hintergrund, besonders in Verbindung mit den eher langsamen Beats der ersten drei Stücke. Ständig wartet man auf den Ausbruch, auf eine unvermeidlich erscheinende Schlägerei. Die sechs Tracks, die (bis auf einen) an der 10-Minuten-Marke kratzen, sind auf ihre Weise Werkstücke des Wahnsinns. Es ist nicht die Musik, die recht minimal und mit deutlichen Bässen erst klare, technoide Linien zeichnet, die dann durch eine fast durchgehende Dub-Stimmung wieder verwischt werden. Es sind auch nicht unbedingt die Texte, die mich interessanterweise an die White Lies erinnert haben. Der Wahnsinn hat sich mir in der psychedelischen Atmosphäre gezeigt, die das Ganze erzeugt. Das Psychedelische ist hier nicht verspult oder „trippy“, sondern eher ernsthaft und dramatisch bis hin zum Kitsch. „If I can’t find love, I guess I hate“? Oder aber der Opener: “I feel like dancing on the thin ice”! Gus Gus haben mich mitgenommen auf eine nächtliche Fahrt durch einen nordischen Hafen, der stahlhart und schweigend in den Nebel ragt. Und wo fahren wir hin? Natürlich nach Reykjavík, in die Disco. Skál!