Rhye – Woman

Rhye - Woman - CoverGeglückte Liebe und erfülltes romantisches Sehnen sind in der Popmusik riskante Sujets. Musik, die sich ironiefrei auf dieses Wagnis einlässt, riskiert einen ähnlichen Beliebtheitsgrad wie ein gedankenverloren knutschendes Pärchen, das im Supermarkt den Zugang zum Rotweinregal blockiert – den man selbstverständlich alleine zuhause trinkt, den schwermütigen Akkorden eines bärtigen Barden lauschend. Letzterer hat traditionell weniger Ressentiment zu fürchten, ist Weltschmerz doch zumeist konsensfähiger als Glück, das sich zu allem Überfluss auch noch seiner selbst Gewiss ist. Um es kurz zu machen: Rhye sind mit ihrer ersten LP „Woman“ das volle Romantik-Risiko eingegangen, preisen das Liebesglück ohne pseudotragische Vorbehalte, und haben damit in jeder Hinsicht gewonnen.

Die elegischen Streicherakkorde von „Open“, mit denen die Platte beginnt, mögen noch nahelegen, dass „Rhye“ sich bewährter Mittel zur Erzeugung von Sensualität und Sensibilität bedienen. Doch die recht klassische Instrumentierung – Piano, dezentes Schlagzeug, einige spärliche Gitarrenakzente, Strings, Bläser, Bass und Synthesizer – sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier durchweg extrem ambitioniertes Songwriting Regie geführt hat. Die Stücke sind durchweg so geschickt arrangiert, dass sie auf alles Pompöse verzichten können und zugleich kleine Brüche in ihrer Struktur als effektvolle Wendungen erscheinen. „The Fall“ wird von einem einzigen Pianoloop getragen, an dem man sich nur schwer satt hören kann, die simple Basslinie von „Last Dance“ erweist sich in Kombination mit den hellen Synthesizern als ähnlich ergiebiges Suchtmittel.

Das zweifellos prominenteste Instrument dieser Platte ist jedoch die Stimme von Sänger Mike Milosh, deren verwirrend feminine Tonlage wohl einen großen Beitrag zur Spekulation um die lange geheim gehaltene Identität der Band leistete. Wie kann eine derart majestätische Soul-Stimme so einfach vom Himmel fallen, warum hat sie nicht bereits unzählige mittelmäßige Electronica-Stücke aufgewertet? Neugierige Unschuld liegt in diesem Timbre ebenso wie eine verletzliche, feminine Reife. Nun gehört die Stimme jedoch einem Mann mit Kontertenor und singt mit so atemberaubender Fragilität von Sehnsucht, Entfernung und endlosen Sommertagen, dass sie einen Sog entfaltet, den man unmöglich in den Kategorien von „männlich“ oder „weiblich“ beschreiben kann. Diese Stimme scheint in ihrer eleganten Entrücktheit geschlechtslos zu sein, menschlich allein durch das, wovon sie erzählt: Die ewige Sehnsucht nach Liebe und die gleichzeitige Ahnung ihrer Unsicherheit und Verletzlichkeit. „Don’t call me love, unless you mean it“, fordert sie scheinbar nonchalant in „Shed Some Blood“. Rhye schaffen es auf wunderbare Weise vom ewigen großen Thema des Pop zu erzählen, ohne nur eine Sekunde in Belanglosigkeit oder Formelhaftigkeit abzudriften.

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Tracklist:

  1. Open
  2. The Fall
  3. Last Dance
  4. Verse
  5. Shed Some Blood
  6. 3 Days
  7. One Of Those Summer Days
  8. Major Minor Love
  9. Hunger
  10. Woman

(Polydor)