Ich lebe mit einem Geistes Sozialwissenschaftler unter einem Dach. Das nun auch schon seit vielen Jahren und umso verwunderter war ich, als ich herausfand, dass sich Scheckkartenpunk, an einem Donnerstag morgen noch „mein Habermasblog im Netz“, mit der Audiolith-Kompilation „Doin‘ Our Thing“ auseinandersetze.
Was hat der Namensgeber der Unterzeile, der den historischen Materialismus von Marx mit dem amerikanischen Pragmatismus, der Entwicklungstheorie von Piaget und Kohlberg und der Psychoanalyse von Freud verband (Wikipedia), mit dem 50sten Release des Hamburger Labels Audiolith gemeinsam? Oder ist alles nur ein weiterer Baustein in der Strategie, die universalistischen Fragestellungen der Transzendentalphilosophie, bei gleichzeitiger Detranszendentalisierung des Vorgehens und der Beweisziele, aufzunehmen und dabei insbesondere auf Letztbegründungen zu verzichten?
Nun – kommen wir zur Musik. Die ist am frühen Morgen noch schwer zu ertragen. Es rummst, Frauen kreischen, schrille Töne, nein, so kurz nach dem Frühstuck ist das wirklich ein hartes Stück Brot. Vielleicht soll aber der ganze Krach einfach auch mal wachrütteln. Denn hinter dieser Sammlung steckt mehr als nur eine Übersicht über den Status Quo irgendeines Labels – hier geht es um die Widerlegung einer Behauptung. Audiolith zeigt, dass es in Zeiten der vielbeschworenen Krise eben nicht zwangsläufig so sein muss, wie es große Labels, gestandene Vertriebe und so mancher Artist derzeit beschwört. Solidarisch zu arbeiten führt nämlich nicht zwangsläufig zur Pleite! Dafür ist Audiolith der beste Beweis. Das aus dem „Do It Yourself“-Gedanken agierenden Label kann inzwischen auf mehr als 20 Künstler, einen sehr passablen Bekanntheitsgrad und auf mehr als 60 Veröffentlichungen zurückblicken.
Diese Compilation soll laut Audiolith-Webseite ein Dankeschön sein an die, „die sich einbringen wollten, bei jedem Konzert dabei waren, Sticker geklebt haben, mit den Shirts auf der Strasse abhängen, Interviews geführt und Streetteams gegründet haben, Nachrichten geschrieben und auch mal Fahrdienste geleistet haben. Die mit den Bands eine gut Zeit hatten, Bier getrunken haben und später die Audiolith-Botschaft von guter Musik ohne Genregrenzen in alle vier Winde verbreitet haben“. Für all diese Leute Musik zusammenzusammeln ist nicht gerade einfach und so verwundert es auch gar nicht, dass sich auf „Doin‘ Our Thing“ ein sehr weitläufiges Spektrum der Stile wiederfindet. Von Melo-Drecks-Rock (ClickClick Decker: „Durch die Bank“), leichtgängiger Elektro-Kost (Dadajugend Polyform: „You Just Got Recorded“), Dada-Deutsch-80er-Revival-Stücken (Egotronic: „Die Sonne Scheint“) bis hin zum üblichen Rave-Gestampfe von Frittenbude oder One Foot In Da Rave findet jeder Hörer wohl ein Stückchen, das zu ihm oder seiner Stimmungslage passt.
Jeder der Künstler, mit dem Audiolith in der 6jaehrigen Labelgeschichte zu tun hatte, ist auf diesem Album vertreten, jeder Song wurde extra für diesen Sampler eingespielt, auch wenn sich einige Künstler manchmal ein sehr leichtes Spiel gemacht haben, in dem sie bereits veröffentlichte Song nur geringfügig modifizierten. Plemo mit „Electric“ sei hier genannt. Doch alles in allem verbreitet „Doin‘ Our Thing“ gute Laune und ist eine gute Einstiegsdroge um der Audiolith Familie beizutreten und den Gedanken der Gemeinschaft mit in die Welt zu tragen.
Ein Album für die Öffentlichkeit, es entstand aus der Idee des kommunikativen Handelns, erhebt Geltungsansprüche und steht gegen die Kolonialisierungstendenzen des ökonomischen Systems auf die musikalischen Lebenswelt. Das Projekt geht weiter – Gruß an Jürgen!