Keine Fortsetzung zu Clinics letztjährig erschienenem siebten Studioalbum: „Free Reign II“ ist ein alternativer Mix des ursprünglichen Werkes. Wer die „Pille“ 2012 verpasst hat sollte sich gleich dem von Produzent Daniel Lopatin abgemischten Halluzinogen widmen. Obwohl das Ausgangsmaterial völlig identisch ist und die Titel des Originals lediglich um die römische Ziffer „II“ erweitert wurden, ist die Strahlkraft des zweiten Oeuvres um einige Lux stärker. Das liegt vor allem an der Direktheit des Mixes. Verströmt der latent dubbige Sound der ersten Version ein weich gezeichnetes Bild, springt einem der surreal anmutenden Klang der aktuellen Variante förmlich an.
Unvorbereitete Hörer erwartet eine Melange aus 60s/70s Psychedelia, Krautrock à la Amon Düül, Electronica und Post-Avantgarde im Sinne von Velvet Underground und deren Folgen. Das angeshuffelte „Sun And The Moon II“ eröffnet mit einer Kakophonie aus atonalem Bläserquietschen und einem Spinett-artigen Synth, der die drogenumnebelte Zeitreise zur Hippiekommune einläutet. Die zweite Station, „You II“, schleicht sich langsam durch Stimmengewirr zum Ohr bis sich Blackburns mystisches Mantra „I Want You For Your Soul“ ins Hirn einbrennt – immer von den Nebelschwaden des weißen Rauschens umgeben. Die Vox Continental-Orgel, die von den Doors popularisiert wurde, verzaubert diese Aufnahme mit Vintage Charme auf vortreffliche Art und Weise. Das mit Rückwärtsschleifen ausgestattete „King Kong II“ versetzt uns ins Delirium, aus dem man erst mit „For The Season II“ rausgeholt wird. Diese Nummer wirkt gegenüber dem fiebrigen Vorgänger so versöhnlich wie eine Hand, die dem Patienten auf die Stirn gelegt wird. Immer noch im Spital, aber nach der Operation. Es besitzt die heilende Kraft der schönen Harmonien, die Klarheit des minimalistisch gehaltenen Instrumentariums und verströmt die Ruhe nach dem Sturm.
„Miss You II“ lehnt sich mit seiner Desertrock-Gitarrenlinie an die englischen Psychedelic Helden 13th Floor Elevators und schaut generell in Richtung Sixties. Die brodelnde Atmosphäre wird kurz durch einen zuckersüßen B-Teil konterkariert, biegt aber gleich wieder in Richtung LSD ab. Am Ende landen Clinic bei den Silver Apples, einer anderen Kultband aus jener Ära des Psychedelich Rocks.
„Cosmic Radiation II“ wirkt wie ein loser Jam auf einem einzigen Motiv – eher ein Interlude als ein ausgemachter Song, der Space-Faktor ist dabei intakt. „Seamless Boogie Woogie BBC2 10pm (RPT) II“ hat den Heroin-Soul von Lou Reed und pulst in Richtung Postpunk. Auch die Kultband Suicide um Alan Vega lauert um die Ecke. Vor allem der billig wirkende Drumcomputer gibt der Nummer ihren rauen, trashigen Charme. „See-Saw II“ steht mit beiden Füßen auf den Flanger- und Distortion-Effektgeräten der Gitarristen – zur Monotonie des Stampfrockers gesellen sich elektronisches Blubbern und Zischen. Ein Highlight kommt mit „Misty II“ fast zum Schluss. Durch die subtil eingesetzten Orgelsounds besitzt der Track die soghafte Wirkung eines Kaleidoskops, in das man bis zur völligen Hypnose hinein starrt. Das Tremolo auf dem Klangteppich trägt den Zuhörer ins Nirvana. Nach Verfassen dieser Rezension befinde ich mich genau dort…
Tracklist:
- Sun And The Moon II
- You II
- King Kong II
- For The Season II
- Miss You II
- Cosmic Radiation II
- Seamless Boogie Woogie BBC2 10pm (RPT) II
- See-Saw II
- Misty II
- Done and Dusted II