Ein klangliches Kaleidoskop zwischen Beirut und Paris

BMK
Musikalische Früherziehung, so hört man, steht bei engagierten jungen Eltern von heute besonders hoch im Kurs. Betrachtet man den Werdegang des im Libanon geborenen und in Frankreich aufgewachsenen Bachar Mar-Khalifé, könnte man vielleicht die Gründe dafür verstehen. Als Sohn des häufig als „Bob Dylan des Orient“ bezeichneten Songwriters Marcel Khalifé war er seit seiner Kindheit beständig von Musik und ihrem Entstehungsprozess umgeben, wie er uns im BLN.FM-Interview erzählt: „Die Musik war von morgens bis abends Teil der Familie“. Außerdem erzählt uns Bachar vom enormen Privileg, aber auch von der Bürde, der Sohn eines berühmten Musikers zu sein. Als die Familie Ende der 80er Jahre den Libanon verlässt, nimmt Bachar ein Studium an den Konservatorien von Boulogne und Paris auf, das er mit Auszeichnung im Fach Piano abschließt. Fortan ist er als Musiker in verschiedenen europäischen Orchestern zu hören und arbeitet mit gefeierten Komponisten wie Pierre Boulez. Neben einem soliden Standbein in der Hochkultur hat er in seiner Jugend eine bis heute anhaltende Liebe zu Grungerock entwickelt und sich immer wieder für Perkussion und Rhythmik begeistert. Mit dem Umzug nach Paris und der Bekanntschaft mit Leuten aus dem Label-Umfeld von Infiné kommt schließlich die Begeisterung für elektronische Musik hinzu. Bald darauf nehmen auch musikalisch ambitionierte Techno-Künstler wie Carl Craig oder Murcof gemeinsame Tracks mit ihm auf.

Im Interview wirkt Bachar Mar-Khalifé zurückhaltend und bisweilen beinahe schüchtern. Man merkt ihm an, dass er lieber seine Musik für sich sprechen lässt, als sie mit weiteren Erklärungen und Entstehungsgeschichten zu apostrophieren. Vielleicht spiegelt sich hier die vornehme Dezenz des nicht an Aufmerksamkeit gewöhnten langjährigen Orchestermusikers, dem die Rolle des Solokünstlers noch nicht ganz behagt. Bachar Mar-Kahlifé hat nicht damit gerechnet, dass ihm die Tageszeitung „Libération“ auf einmal eine Doppelseite im Feuilleton widmet und die französische Musikpresse sein neues Album durchweg euphorisch bespricht. Obgleich er neben der klassischen Musik auch Bühnenerfahrung im Trio „Marcel, Rami et Bachar Khalifé“ (das er zusammen mit seinem Vater und Bruder gegründet hat) besitzt, fühlt er sich auf der Bühne stets noch etwas fremd und beschreibt seine ersten Solo-Konzerte als Herausforderung und auch Emanzipation vom gewohnten Spielen als Teil eines musikalischen Projekts.

2010 veröffentlicht er sein Solo-Debüt „Oil Slick“, eine Platte voll atmosphärisch dichter instrumentaler Etüden, die gleichermaßen die Liebe zu elegischen Soundflächen und feinen Klangdetails als auch eine Rezeption avantgardistischer neuer Musik verraten. Entgegen dem häufig verkrampften Versuch, elektronische Kompositionen durch Elemente der Klassik symbolisch aufzuwerten, fügen sich die unterschiedlichen Einflüsse in Bachars Solo-Schaffen harmonisch zusammen und lassen nie den Eindruck von Anbiederung an eine vermeintlich hochkulturelle Autorität erkennen.

Von der Symbiose scheinbar natürlich harmonierender Einflüsse profitiert sein neues Album „Who’s gonna get the ball from behind the wall of the garden today“ in noch stärkerem Maße als das Debüt. Die neue Platte ist eine kaleidoskopartige Mischung aus traditioneller arabischer Musik, französischem Chanson, Ambient, neuer Musik und Jazz geworden. Anders als auf dem Vorgänger setzt Bachar nun auch seine sonore und zugleich sehr fragile Stimme wirkungsvoll ein: „Ich fühle mich nicht als Sänger, sondern betrachte die Stimme als ein kompliziert zu beherrschendes Instrument zur Erzeugung von Klängen“. Deren melancholischer Nachhall zieht sich neben den ephemeren, kristallklaren Piano-Loops leitmotivisch durch die Platte: Vom wunderschönen Cover des heute weitgehend vergessenen Gainsbourg-Duetts „Machins Choses“ (mit Kid A) bis hin zur Verzweiflung von „Marea Negra“, seiner Version eines Protestliedes, welches häufig auf den Demonstrationen des arabischen Frühlings zu hören war.

Man hört dieser Musik in ihrer Struktur und Tiefe einen hohen Grad an kompositorischem Perfektionismus an. Dieser raubt den Songs jedoch nichts von ihrer mythischen Atmosphäre, welche die Assoziation einer geheimnisvollen Varieté-Bühne irgendwo zwischen Paris und Beirut evoziert. Bachar Mar-Khalifé ist es mit „Who’s gonna get the ball from behind the wall of the garden today“ meisterhaft gelungen, seine Zurückhaltung auf klanglicher Ebene in unprätentiöse Schönheit zu überführen.

Das BLN.FM-Interview mit Bachar Mar-Khalifé zum Nachhören:

https://soundcloud.com/bln-fm-im-fokus/im-fokus-interview-mit-bachar