Wieso sind an der Decke über zwanzig Metallhaken befestigt? Diese und weitere Fragen schießen mir durch den Kopf, während die Plastikstuhllehne schwitzig gegen meinen Rücken drückt. Getuschel dröhnt, von schallminderndem Teppichboden in klassischem Blau gedämpft, aus den halbleeren Ecken des weiß gestrichenen Konferenzraums. Die Fenster sind schlampig abgeklebt. Auf dem schlaglichtundurchlässigen Packpapier steht „All2gether Now“, optisch umringt von bunten Sponsorenlogos. Demnach bin ich auf einer Musikmesse. Richtig, hätte ich fast vergessen. Das Gefühl in diesem von unbesetzten Stühlen erfüllten Raum entspricht nämlich eher dem, das ich normalerweise vor dem Beginn eines Seminars ohne Anwesenheitspflicht hätte. Nur dass die Sitzgelegenheiten hier zur Abwechslung im Kreis angeordnet sind. „So, ich denke, wir können jetzt anfangen“, ergreift Melanie Fritsch, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Uni Bayreuth das Wort.
Round 1: Eine kurze Geschichte der Computerspielmusik
Es soll heute um Computerspielmusik gehen und prompt kommt mir diese aufdringliche Super – Mario – Musik in den Sinn. Aber natürlich soll das heute alles wissenschaftlicher und weniger assoziativ behandelt werden. Man nimmt sich ernst. Klare Gliederung des Programms, wir fangen bei der Geschichte der Computerspielmusik an. Kurz zusammengefasst: es begann 1978 mit Space Invaders, einem Spiel, dessen musikalische Qualität noch weitgehend umstritten war.
Dann folgten in den 80ern monophon vertonte oder geloopte Soundtracks. Die Speicherplatzkapazität war klein, man arbeitete reduziert. Mitte der 80er bekommt Computerspielmusik mit dem Chip – Tune – Genre einen eigenen Charakter: selten mehrstimmige Akkorde, dafür aber eine Einsparung an Spuren. 1990 wird mit dem Erscheinen der Super – Nintendo – Spielkonsole (wir erinnern uns an die nervige Super – Mario – Hymne) ein Meilenstein gesetzt, dessen Nachfolge 1994 dann die Sony Playstation antritt. Das besondere hieran ist, dass der Spielgenuss nun von Musik in CD – Audio – Qualität mit einer beliebigen Anzahl von Instrumenten untermalt wird. Und die Xbox? Darüber wird vorerst kein Wort verloren. Vielleicht ist sie computerspielmusiktechnisch nicht relevant?
Round 2: Dramatischer (orchestraler) Soundtrack vs. personalisiertes Hörvergüngen
Egal. Wir fahren fort mit den Erscheinungsformen. „Arcade Game Music“ ist eine Form der Computerspielmusik, die in Japanischen Spielhallen die Lockfunktion erfüllen soll, Kunden anzuziehen. Scheint in der Realität anscheinend nicht ebenso reibungslos zu funktionieren. Jemand verlässt den Raum. Ein Fluchtversuch? Fritsch leitet souverän zum zweiten Punkt über, den „Music – Games“. Die dürften den Meisten unter Namen wie „Dance, Dance, Revolution“, „Guitar – Hero“ oder „Singstar“ ein Begriff sein. Als ein Beispiel lizensierter Musik in Spielen wird das Spiel „Bulletproof“ für Xbox und PS mit 50 – Cent als Held in der Hauptrolle und natürlich mit seiner Musik unterlegt angeführt. Was wäre naheliegender? Unter diesem dritten Punkt kommt auch „Crossmarketing“ zur Rede, was beispielsweise auf Games wie „Lord of the Rings“ zutrifft, die den Soundtrack aus dem Film aus vermarktungstechnischen Gründen im Spiel wiederverwenden. Der „dramatische (orchestrale) Soundtrack“ ist oft im Hintergrund von Rollenspielen zu hören und soll das Feeling des Spiels untermalen. Ich bin verwirrt. Ist dann nicht das Gleiche, wie bei dem eben genannten Spiel „Lord of the Rings“? Aber ich will nicht vorschnell urteilen und höre brav zu, welche Musikkategorie als Nächstes kommt: „Electronic Instrument Games“. Hier geht es, wie der Name impliziert, um das Komponieren von Musik am PC mithilfe eines speziellen Programms, wie beispielsweise der open source software „Audacity“. Der Punkt „Musik als Gameplayelement“ verwundert mich. Es handelt sich hierbei um die Auslösung von Events in Spielen durch Verwendung eines Musikinstruments im Game. Einfach gesagt: dein Charakter spielt eine Flöte und es ertönt Musik, beziehungsweise ein Ereignis wird hierdurch ausgelöst. Ein Beispiel hierfür wäre „Zelda“, in dem diese interaktive Beeinflussungsmöglichkeit besteht. Wieso ist das jetzt eine eigene Kategorie neben dem „dramatischen (orchestralen) Soundtrack“? Es folgt „Mobile Gaming Music“, die sich dadurch charakterisiert, dass sie vornehmlich auf tragbaren Geräten, wie Handys, zu hören ist.
Die letzten beiden Punkte sind wiederum interessant und von eindeutiger Wichtigkeit: Der „personalisierte Soundtrack“ und „Live – Aufführungen“. Unter ersterem Beispiel kommt nun endlich die Xbox mit ihrer Möglichkeit, Spiele mit der eigenen Lieblingsmusik zu unterlegen, zur Sprache. In Zeiten des Personalisierungswahns eine aussichtsvolle Sache. Sogleich wendet jemand ein, dass man dann doch auch einfach den Ton der Spielmusik ausschalten und nebenbei hören könnte, was man will – ganz ohne personalisierten Soundtrack im Spiel. Ein nicht unbegründeter Einwand. Obwohl, vielleicht gibt es da ja irgendwo einen subtilen, psychologischen Mehrwert. Wir kommen zum letzten Punkt: „Live – Aufführungen“. Das sind Konzertaufführungen meist klassisch anmutender Musik aus Computerspielen, wie sie das WDR-Rundfunkorchester oder das Leipziger Gewandhausorchester bereits erfolgreich veranstaltet haben. Durch die Jubelstürme des Publikums wirken diese Veranstaltungen jedoch eher wie Popkonzerte, wovon wir uns sogleich in einem Beispielvideo einer Konzertaufführung des Zelda – Soundtracks selbst überzeugen können.
Final Round: Eine neue Form sozialer Interaktion
Mein Bedürfnis nach einem Stuhl mit Polster wird immer größer. Aber nichts da. Es folgen die An- und Herausforderungen der Computerspielmusik an den Komponisten. Und die sind relativ einleuchtend: keine lineare Planbarkeit der Komposition, da sie interaktiv auf Spielabläufe reagieren muss. Dazu muss sie hörbar sein, also flüssige Übergänge aufweisen und nicht repetitiv sein, man will sich ja nicht langweilen. Und natürlich muss sie die Emotionen der Spieler generell penetrieren und an dramaturgisch wichtigen Punkten wie ein Verstärker wirken. So wird Hitmans Beerdigung in „Blood Money“ zu Recht mit einem herzzerreißenden „Ave Maria“ unterlegt.
Die letzte Folie der liebevoll vorbereiteten Power – Point – Präsi fordert ihren Tribut in Form einer Diskussion. Na ja, wo man schon mal im Stuhlkreis sitzt, wieso eigentlich nicht? Nachdem mit Personalisierung und GEMA – Rechten wichtige Issues angesprochen worden sind, wird schließlich die unabwendbare Frage aufgeworfen, wieso man eigentlich nicht, anstatt sich stundenlang mit Gitarrenaction aus der Konserve im Spiel „Guitar – Hero“ zufrieden zu geben, gleich ein echtes Instrument spielen lernt, um mit seiner echten Band in einem echten Proberaum echte Musik zu machen. Ja, wieso eigentlich nicht? „Weil ‚Guitar – Hero’ eine neue Form sozialer Interaktion ist – etwas, das gleichberechtigt neben Musikmachen steht.“ Da habe ich mal wieder etwas dazu gelernt. Nur wozu die Haken gut gewesen sein sollen, weiß ich immer noch nicht.