Autechre – Exai

Autechre - Exai - Cover„Ist es Musik oder akustische Mathematik?“ so die Frage aus der Redaktion, als Autechres neues Werk auf dem Tisch landet. Nicht nur ein Album, sogar ein Doppelalbum ist es geworden –  108 Minuten lang und 18 Stück stark. „Exai“ heißt es und seine Bedeutung ist erstaunlich simpel. Es handelt sich nur um die in Englisch ausgesprochene römische Zahl XI als Code für Autechres elftes Album. Auch andere Tracktitel lassen wieder klar die Handschrift des Duos Rob Brown und Sean Booth erkennen: Kryptisch aus Zahlen und Buchstaben zusammengesetzt, geben sie den Anschein naturwissenschaftlicher Formeln und ergeben doch wenig Sinn.

Schon der Einstieg ins Album hat es in sich. Wo bei vielen Alben zu Anfang gern ein zugänglicheres Stück platziert wird, haben Autechre mit „Fleure“ einen der sperrigsten Tracks des Albums gesetzt: Gebrochene, aus Kleinteilen zusammengesetzte Rhythmen, unterstützt von wabernden Basstönen, die die kalte Stimmung des Tracks nicht aufzubrechen vermögen. An sich ein typischer Autechre-Track,  den man aufgrund seiner Komplexität auch als Freejazz des Elektro bezeichnen könnte. Ist diese Unzugänglichkeit Provokation? Ignoranz? Oder Arroganz? Vielleicht ist es einfach ein selbstbewusstes, augenzwinkerndes Statement über das Unverständnis für ihre verkopft wirkende Arbeitsweise. Mag dieser erste Track einige Hörer verschrecken, den Fan vom Autechre-Album „Confield“ mit seinen ähnlich vertrackten Tracks wird es begeistern.

Autechre bieten auf „Exai“ kein schlüssiges Konzept wie der Vorgänger „Oversteps„, dafür aber ein unglaublich vielfältiges Sammelsurium an Ideen und Einfällen. „prac-f“ hat trotz aller tonalen Ungemütlichkeit etwas balladenartiges und in „Jatevee C“ kann man Anleihen an den allgegenwärtigen Dubstep hören. Autechre leben zwar in ihrem ganz eigenen Kosmos, kriegen dennoch etwas von der Welt da draußen mit und drücken ihr ihre eigene Interpretation auf. In „T ess xi“ folgen Synths sogar einem klassischen Popharmonie-Schema, wenn es auch – wie sollte es auch anders sein – durchbrochen wird von Knister- und Glitch-Geräuschen. Und bei „Recks on“ erklingt ein „richtiger“, dem Hiphop entlehnter Drumbeat, mit dem sie ironisch auf ihre Ursprünge verweisen. Der Höhepunkt des gesamten Doppel-Albums findet sich zum Abschluß des ersten Teils. In „Bladelores“ durchdringen mit Hall versetzte Töne, die in ihrer metallischen Helligkeit an eine Snare erinnern, einen Klangraum, der sich langsam und stetig mit warmen Drone-Klängen füllt. Geschickt spannt sich so über 12 Minuten ein dramaturgischer Bogen, der die lange Dauer des Track vergessen macht.

https://soundcloud.com/nikoloz/autechre-bladelores

Insgesamt betonen die Tracks des Albums erneut die tontechnische und kompositorische Virtuosität des Duos. Und genau hier könnte man auch mit einem „leider“ ansetzen. Denn wo der Track „Runrepik“ mit seiner stolpernden, um Millisekunden verschobenen Rhythmik noch enorm fesselt, wirkt das aggressive „Spl9“ überladen und „Cloudine“ mit seinen schrillen geigenartigen Zwischentönen ziellos. Wer bis zur Verbissenheit darum bemüht ist, seine Fähigkeit zu vertrackten aber dennoch logisch mathematischen Denken im Musikalischen zu beweisen, vergisst auch mal den Spaß an der Sache und vor allem auch, diesen zu vermitteln. Dabei müssen sie sich schon lange nicht mehr beweisen: Ihre Art, Klänge und Rhythmen in ihren Grundstrukturen aufzubrechen und wieder neu zusammenzusetzen ist und bleibt einzigartig. Letztendlich kommt der Mangel eines schlüssigen Konzepts, von dem hier schon die Rede war, Autechres Album sogar zugute: Bei der Menge an Tracks und der Vielfalt an Klang, Ton und Rhythmik wird sich für fast jeden Geschmack etwas finden lassen.

Ist es Musik oder akustische Mathematik? In einem Interview sagen Autechre selbst: „Jede Musik basiert auf Mathematik.“ In der Mathematik werden aus einfachsten Mitteln, nämlich Zahlen und Formeln, die komplexesten Zusammenhänge erschaffen. Hier verbirgt sich ihre Schönheit und Faszination. Ähnlich ist es auch bei Autechre: Einer überschaubaren Palette an musikalischen Komponenten stellen sie eine schwer zu überbietende Vielzahl an kreativen Entwürfen gegenüber. Autechres Ästhetik überfordert seine Zuhörer manchmal. Sich trotzdem darauf einzulassen, lohnt sich allemal.

Preview:

https://soundcloud.com/experimedia/autechre-exai-album-preview-1

Tracklist:

CD 1

  1. FLeure
  2. Irlite (Get 0)
  3. Prac-f
  4. Jatevee C
  5. T ess xi
  6. VekoS
  7. Flep
  8. Tuinorizn
  9. Bladelores

CD 2

  1. 1 1 is
  2. Nodezsh
  3. Runrepik
  4. Spl9
  5. Cloudline
  6. Deco loc
  7. Recks on
  8. Y JY UX

(Warp Records)