David Stubbs, Schreiber für englischsprachige Musikmagazine wie The Wire und NME, beschäftigt eine Frage: Warum stürmen die Menschen die Ausstellungen mit moderner Kunst, während das musikalische Gegenstück, die experimentelle Musik, gefördert vor halbleeren Sälen stattfindet? Um eine Antwort zu finden, vergleicht Stubbs Maler und Musiker – nicht mit dem Ziel, den Leser mit einer einzig wahren Antwort zu belehren, sondern Denkanstöße zu geben.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts brachte die surrealistische Malerei eine Revolution ins Rollen. Der akustische Bereich stand hingegen still. Erst in den 1950er Jahren tat sich was: Jazz avanciert Dekaden nach seiner Entstehung zur einer populären Hintergrundmusik. Elvis verewigt sich als „King of Rockn’Roll“, die Beatles sind die ersten Helden der Popmusik. Beide Genres zeichnen sich durch klare Strukturen aus: der Rock ’n‘ Roll setzt beispielsweise auf den 4/4 Takt, die Popmusik setzt auf den Verzicht von Komplexität und Ungewohntem. Anfangs galten beide Genres als radikal.
Seither sorgt Musik nicht mehr für Aufruhr oder gar Entsetzen. Andersartigkeit wird schnell als störend empfunden. Stubbs beobachtete, dass die stark frequentierte Rothko-Ausstellung in der Londoner Tate Modern mit Stockhausen-Musik unterlegt wurde. Rothko gilt als einer der größten Maler des abstrakten Expressionismus und Wegbereiter der Farbfeldmalerei. Stockhausen ist einer der avanciertesten Vertreter der experimentellen Musik. Homogen ausgemalte Farbfelder zogen Besucher an wie Motten das Licht und erzielen horrende Verkaufspreise – ihr musikalisches Pendant vegetiert eher im Schatten dahin. Warum? Stubbs erklärt das so: Der Mensch kann die Augen verschließen oder sich einfach von einem Kunstwerk abwenden. Bei klanglicher Konfrontation erweist sich das eher als schwierig. Überlegung Nummer zwei: Musik kann leicht dupliziert werden. Das vermindert den Wert. Wer sich aber wie beispielsweise die Firmenzentrale von Philip Morris einen Picasso leisten kann, hat sich teuer ein Stück Prestige erkauft. Ein besserer Mensch wird man damit nicht und das Rauchen ist und bleibt tödlich.
Höre den ganzen Vortrag von David Stubbs: The Fear Of Music.
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Stockhausen: Kontakte
David Stubbs ist freier Journalist und Autor. Er schreibt unter anderem für die Musikmagazine NME, Melody Maker, The Wire, Uncut, sowie für The Guardian und The Times. Er hielt den Vortrag im Rahmen der Node2 der Club Transmediale Mitte September 2009 in Berlin. Der Vortrag basiert auf sein Buch „Fear of Music- Why People Get Rothko But Don’t Get Stockhausen“.
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