Holger Hilgers: „Es geht bei Musik nicht um Musik“

Eine Art musikalisches Erweckungserlebnis hat Holger Hilgers in den 1990ern gehabt, als ihn ein Freund auf den Kölner Plattenladen „a-musik“ hinwies: „Ich komm da rein und wer sitzt da? Mouse On Mars! Da dachte ich mir: Wow, geil – hier bist du richtig!“, sagt uns Hilgers im BLN.FM-Interview. Mit dieser Begegnung hatte es ihn gepackt: Von Brian Eno bis Karlheinz Stockhausen gräbt er sich schließlich durch die verschiedenen musikalischen Kosmen. Irgendwann später zog es ihn nach Berlin, wo er jahrelang als Booker, Promoter und Veranstalter arbeitete und den Sound der Stadt aus dem Hintergrund heraus mitprägte. Unter dem Namen Adam Weishaupt betätigte er sich auch selbst als DJ und sorgte in Clubs wie dem Suicide Circus und anderen für schwitzige Decken. Erst vor Kurzem ist Hilgers ins beschauliche Graz gezogen. Dort fühlt er sich zwar wohl, nach Berlin zieht es ihn aber trotzdem immer wieder.

Hilgers liegen die komplexen elektronischen Spielarten besonders am Herzen, wie man an seinen Techno-Sets mit reichlich IDM– und Breaktbeat-Elementen raushören kann. Hin und wieder widmet er sich auch noch viel tieferen, langsameren Klängen. Gerade die flächigen Ambient-Sounds, die in den 1990ern ihr Hochkonjunktur haben, tun es ihm an – eine Passion, die sich bis heute gehalten hat. Aber was versteht Hilgers denn unter dem recht schwammigen Begriff Ambient? „Ruhe! Das ist einfach Ruhe. Das sind Sounds, die Konfusionen auflösen. Die alles plattbügeln, was in dir drin ist. In Ruhe verpackte Musik. Die kann orchestral sein, die kann linear sein, aber meistens ist sie halt sehr deep und sehr weit.“

Als „Ghost Ambient“ bezeichnet Hilgers seine eigene Musik, die er zusammen mit Robert Chudoba unter dem Namen Ultra Deep Field macht. Die beiden kennen sich seit Jahren und hatten immer schon einen ähnlichen Geschmack. Mit dem Projekt setzen sie nun ihre gemeinsame Vision um. Tief und weit soll die Musik klingen. Das steckt bereits im Künstlernamen drin: Als Ultra Deep Field ist ein Bild bekannt, das Ende 2003 über mehrere Monate vom Weltraumteleskop Hubble aufgenommen wurde – die bis zu diesem Zeitpunkt tiefste Aufnahme des Universums, auf der sich matt schimmernde Galaxien vor tiefschwarzem Hintergrund tummeln: „Wir wollen zeigen, wie sich das Universum anhört“, erklärt Hilgers. Wie eine „…dunkle Energie, die alles zusammenhält, die durch alles hindurch fliesst“, soll sie sein. Dafür braucht sich dann auch niemand ins All schießen lassen: „Wo sollte man das alles finden, wenn nicht in sich selber drin?“, erklärt der Künstler.

Tatsächlich erfüllt Musikhören seiner Ansicht nach immer einen Zweck: „Die Leute benutzen ja Musik, um sich auf irgendeine Weise zu manipulieren. Es geht bei Musik nicht um Musik. Es geht bei Musik um die Ebene, die ich erreichen will, wie ich mich fühlen möchte.“ Ganz von selbst passiert das aber nicht: Ein wenig Neugier ist schon vonnöten, meint Hilgers und bedauert gleichzeitig, dass sich Angebot und Nachfrage für bestimmte Spielarten mittlerweile in Grenzen halten würden. Die Clubs der Hauptstadt haben sich in dieser Hinsicht verändert, weiß der langjährige DJ zu berichten: „Diese Begegnungsstätten, in denen Leute sich miteinander austauschen können, was sie da gerade erleben, zum Beispiel so einen Chill-Out-Raum – das gibt’s ja gar nicht mehr. (…) Das fehlt so ein bisschen. Das liegt wahrscheinlich daran, dass die Leute sich nicht mehr so dafür interessieren. Die Leute wollen auf eine Party gehen und kriegen ein Menü serviert, das eigentlich nur aus Höhepunkten besteht.“

Breaks und flächige Sounds haben deshalb einen schweren Stand. Das dem Publikum zu verübeln, ginge aber zu weit. „Du kannst ja keinem vorwerfen, dass er nicht genauso geil darauf ist wie du selber.“ Und als Veranstalter von Parties kann er auch nachvollziehen, dass sich die Clubs wenig Experimente erlauben – musikalischer Idealismus ist nicht immer profitabel. Und letztlich, betont Hilgers, geht es immer noch darum, dem Publikum eine schöne Zeit zu ermöglichen.

Gemeinsam mit DJ Flush, alias Nico Deuster, organisiert er schon seit einigen Jahren das Krake-Festival: randständige Stile sollen eine Plattform bekommen und dem Publikum näher gebracht werden. Interessante Musik, klar – Spaß soll es aber trotzdem bringen. Die Planung gehen die beiden dementsprechend locker und frei an: „Das ist ja auch das Konzept von der Krake: Die  hat halt mehrere Arme. Und jeder Arm ist in einem anderen Genre drin, einer anderen Musikrichtung. Im Prinzip spiegelt das Krake unseren Geschmack wider. Und der hat halt eine Menge Arme“, sagt Hilgers (lacht). Beide schmieden sogar schon Pläne für ein eigenes Label in dieser Richtung.

Hört rein in das BLN.FM-Interview mit Holger Hilgers:

https://soundcloud.com/bln-fm-im-fokus/im-fokus-interview-mit-holger

Neben seinen vielen Plänen und Projekten ist Hilgers aber auch immer noch als Adam Weishaupt mit seinen DJ-Sets unterwegs: In Berlin ist er zum Beispiel am 5. April im Suicide Circus und am 6. April in der Magdalena. Dann stehen aber wieder fette Beats statt sanfter Sounds auf dem Programm.