Villalobos – ein weiterer Film über Techno, Parties & Drogen? Das mag der eine oder andere denken. Doch dieser Film unterscheidet sich grundsätzlich von anderen Produktionen wie „Feiern„. Er ist eine 110-minütige Dokumentation über das Leben und Arbeiten von Ricardo Villalobos, vielleicht dem wichtigsten Minimalhouse-DJ und Produzenten der letzten Jahre. Sie feierte etwas versteckt und unspektakulär ihre Weltpremiere Anfang September auf den 66. Filmfestspielen in Venedig.
In „Villalobos“ erklärt der Protagonist Ricardo V. fast schon zu ausführlich für so ein Filmformat, was für ihn elektronische Musik ausmacht. Er erzählt, wie er unter den täglich Dutzenden Zusendungen von neuem Vinyl die Spreu vom Weizen trennt – ohne je dabei ein Release auch nur annähernd komplett anzuhören. Er zeigt, mit welchem Ablagesystem es ihm möglich ist, nicht den Überblick bei den Massen an Platten, die sich so ansammeln zu verlieren.
In langen, aber nicht langweiligen Interviews bekommt man generelle Antworten zur Produktion elektronischer Musik und der Funktion von Technoclubs. Wie schafft es ein DJ wie RV überhaupt das Publikum über eine ganze Nacht musikalisch so sehr in seinen Bann zu ziehen, dass sich die zeitliche Dimension total verschiebt? Villalobos erzählt, dass dieses Erleben schon immer ein kultureller Bestandteil einiger lateinamerikanischer und afrikanischer Kulturen war. Im Techno sei nur die europäische Vollendung dessen zu sehen – was manche schon viel früher an Tänzen wie dem Samba faszinierte. Sehr interessant sind auch die Theorien zum Thema „elektronische Musik, Sex und Parties“ – und welche Rolle Drogen dabei spielen. Auch zum Selbstverständnis von DJs redet Villalobos – und dem Widerspruch, künstlerische Selbstzerstörung glaubhaft zu inszenieren und gleichzeitig auf das gute, unverzichtbare Gehör als Musikschaffender Acht zu geben.
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Unterbrochen werden diese eher theoretischen Exkursionen immer wieder von ausgedehnten Einblicken vor und hinter die Kulissen in Clubs und großen Events wie dem Sonar 2006, Amnesia oder Privilege. Ein besonderes Highlight sind dabei die Aufnahmen aus der Panoramabar im Berghain, wohl die einzigen, die es überhaupt gibt, wird dort doch strengstens auf die Befolgung des Film- und Fotografierverbotes geachtet. Bilder spielen in dem filmischen Essay jedoch eher eine untergeordnete Rolle. So wurde ein unästhetisch anmutendes Soundexperiment gewagt, welches im Film akustisch vorführt, was ein DJ hört. Es vermischen und überlagern sich viele, nicht im Takt laufende Klangquellen – dem normalen Clubgänger kommt es dabei schon fast wie Zauberei vor, dass aus diesem Wirrwarr allein durch das Drücken der richtigen Knöpfe und dem Ziehen der passenden Regler, ein fertiges, sauber tanzbares Sounderlebnis der besonderen Art entsteht.
„Villalobos“ ist ein Film, der denen, die schon immer mal wissen wollten, was an elektronischer Musik so faszinierend ist, einige ganz unerwartete Einblicke liefert. Gleichzeitig ist er auch für all jene sehr interessant, die sich schon länger mit der Musik auseinander setzen. Szenenweise erinnert die Dokumentation fast schon etwas an eine Schulstunde Musikunterricht, aber glücklicherweise der interessanten Art, wären da nicht die praktischen Anwendungsbeispiele im „Night Life“, die definitiv eher nicht zu Schulzeiten thematisiert werden. Auf den 66. Filmfestspielen in Venedig wurde der abschließende Teil von Karmakars Triologie über elektronische Tanzmusik (nach 96 BPM und „Between The Devila And The Wide Blue Sea“) viel zu wenig beachtet. Dabei räumt der Film doch mit dem Vorurteil auf, dass DJs nur „Plattenschubser“ sind, die „Bum-Bum-Musik“ aneinander reihen. In jedem Fall absolut sehenswert!
Wann „Villalobos“ in den deutschen Kinos zu sehen sein wird, steht leider noch nicht fest. Zur Zeit tourt der Dokumentarfilm über diverse Festivals weltweit: demnächst zu sehen ist er auf der Viennale (20.10.-04.11.2009) und der Duisburger Filmwoche (02.-08.11.2009). Mehr Infos über den Film auf der Seite des Regisseurs Romuald Karmakar („Der Totmacher“, „Manila“, „128 BPM“).
(Thomas Robert Meier für BLN.FM)