Atom™ – HD

AtomTM_cover

Das neue Album von Uwe Schmidt aka Atom™ ist da. Endlich! In den 90ern gab es ständig sehr viel neues Material. In den letzten Jahren gab es seltener neue Musik von ihm zu hören. Im Vergleich zu den eher ruhigen Veröffentlichungen der letzten Jahre („Liedgut“, 2009, „Winterreise“, 2012, „Grand Blue“, 2012) fällt als erstes auf: Hier kann wieder getanzt werden. Und zwar im Kopf und im Club. Die neue CD heißt „HD“. Das Kürzel bedeutet „Harddisk“ und damit meint Uwe Schmidt seine eigene Festplatte – und damit den Ort, an dem bei ihm schon immer alle Fäden zusammenlaufen: „Dann liegen da so Teile ‚rum, die sich anziehen“, so formuliert er es selbst. Und bei Uwe Schmidt wird aus dieser wechselseitigen Anziehung ein spannender neuer Cocktail aus Elektro und Rock. Er findet Inspiration, indem er zueinander führt, was nicht ohne weiteres zusammen gesehen wird: Echos von romantischer Poesie und Grundlagenwerken der Elektrizitätslehre aus dem späten 19. Jahrhundert – Uwe Schmidt lässt sie kollidieren mit Klassikern wie „My Generation“ von „The Who“.

„Why don’t you all f-f-f fade away?“ schleuderte The Who-Sänger Roger Daltrey seinem Publikum 1965 entgegen. Dieser Meilenstein der Rockgeschichte hat Uwe Schmidt besonders interessiert: „Die Energie, dass es so reduziert ist, es hat so was von Punk, von Einfachheit. Und ich sah den Anknüpfungspunkt an die Elektronik: die Reduziertheit“, sagt Uwe Schmidt im BLN.FM-Interview. Er fängt an, mit dem alten Klassiker zu arbeiten. Und weil ihm dabei noch etwas anderes auffällt, schickt er ihn auf eine Reise in die Zukunft: „Ich stellte fest, dass es kein Stück Musik gibt, wo der Glitch-Musiker sagt: Hier bin ich“. Was Uwe Schmidt offensichtlich vermisst, ist so etwas wie ein Manifest der „Generation Glitch“ – und zwar eines, das sich nicht nur musikalisch, sondern auch über den Text formuliert. Was damals eben auch den Rock ausmachte, dieses Selbstbewußte, Laute und manchmal auch Obszöne im Songtext, das sich radikal absetzen wollte von der Generation der Eltern: Gibt es das etwa heute nicht mehr? Fehlen dem Glitch-Musiker von heute einfach die Worte? Bei Schmidt wird „My Generation“ 1965  jedenfalls zu „My Generation“ 2013: Der Rock der 60er trifft auf den Elektro des 21. Jahrhunderts. Es ist das einzige Cover auf einer sehr vielseitigen Platte.

Da ist etwa „I love U“, das mit den Vocals von Jamie Lidell an den Funk der 80er Jahre erinnert, aber trotzdem wesentlich frischer klingt als Prince. Oder „Strom“, das sich anhört wie ein Dance-Remix von „Winterreise“ oder „Liedgut“. „Stop (Imperialist Pop)“ klingt wie ein Widerhall von Kraftwerk: Der Beat scheint direkt herüber gebeamt von „Boing Boom Tschak“. Was sich aber bei den Altmeistern im „Techno Pop“ erschöpft, wird bei Uwe Schmidt – subversiv in ihre Sounds gekleidet – zur Kritik am globalen Pop-Zirkus. Da findet man zum Beispiel die folgende Textzeile: „Fascist Control Thanks to Rock and Roll. Corporate Sound in Dolby Surround.“ Die Platte präsentiert über den knackigen Beats auch eine Menge Text. Und der ist wie bei „Empty“ gerne kulturkritisch: „mp3 killed the MTV. I am thrilled, Yeah. All there is: Economy. It’s just Empty. EmpTV“. Daneben stehen eher introspektive Stücke wie „Ich bin meine Maschine“ und der Glitch-/ Blues-Hybrid „The Sound of Decay“.

Hier gibt es einen Querschnitt durch das Album – und ein Interview mit Uwe Schmidt:

Uwe Schmidt ist seit über 20 Jahren im Geschäft. Ermüdungserscheinungen sind nicht erkennbar. Das mag auch an seinem Rückzug in das etwas abgelegenere Santiago de Chile liegen. Den Strapazen der um die Musik kreisenden Medienwelt kann man dort sicher besser entgehen, als in Deutschland. Und doch: Von dort aus verfolgt Uwe Schmidt sehr genau, wie weit sich der Pop schon durch die Welt gefräst hat: „Wenn ich irgendwo in Mexiko auf dem Marktplatz stehe und hör‘ das Gleiche wie in Berlin – das ist schon eine Frage wert. Es ist fast schon die Phänomenologie des Kapitalismus. Die Oberfläche des Kapitals ist der Pop. Die Summenkompression ist die letzte Konsequenz des Kapitals, aus der Musik noch was rauszuquetschen“, erklärt er im BLN.FM-Interview. Worum es bei der Summenkompression geht, ist schnell erklärt: Leise Signale werden lauter und laute Signale leiser gemacht. Die Folge ist, dass alle Klänge ähnlich laut werden. Und deswegen hört sich Musik heute oft an, als würde sie einen anschreien: Genauso, wie die Stimmen aus der Werbung, die einem überall begegnen – im Radio, im Fernsehen, im Internet. Allen geht es um Vermarktung. Und weil jeder dabei schreit, gibt es nichts Zartes mehr und keine Zwischentöne.

Und genau dagegen positioniert sich das Album, denn es lässt Raum für ganz verschiedene Stimmen. Es funktioniert über feine Abstufungen und subtile Mischungsverhältnisse. Obwohl es rockt, steht es außerhalb des Indie-Kontextes. Es ist elektronisch und tanzbar, sucht aber nicht den Anschluss an gegenwärtig erfolgreiche Strömungen. Es ist kulturkritisch, und doch nicht verkopft. Fast klingt es wie ein Aufruf: Empört Euch! Tanzt an gegen den gleichmacherischen Pop, der sich über die ganze Welt legt!

 

kontur für BLN.FM (C) Roman Kern