„Technoviking“ – Keine Lust auf Berühmtheit

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Ein muskulöser, kriegerischer Wikinger tanzt mit grimmigem Blick vor einem Wagen zu laut hämmernden Techno. Die Szene, aufgenommen vor dreizehn Jahren auf der Fuckparade in Berlin, wirkte so kurios, dass es der Technoviking zu breiter Internet-Prominenz geschafft hat. Doch schon seit 2009 gibt’s Ärger für den Filmer: der Tänzer will nicht prominent sein und per Gericht durchsetzen, dass das Video verschwindet.

Der Künstler Matthias Fritsch hatte an einem Sommernachmittag 2000 einfach dokumentarisch die Kamera auf den tanzenden Mann draufgehalten. „Ist das echt gestellt?“ – mit dieser Frage tourte er zunächst mit dem Video über Kunstfestivals. 2006 lud er es auf Youtube hoch. Zuerst blieb es unbeachtet, bis es 2007 auf einer amerikanischen Porno-Seite eingebunden wurde, wie knowyourmeme schreibt. Danach verbreitete es sich über unzählige Humorseiten und Foren. Das Video wurde 16 Millionen Mal abgerufen, Spaßvögel produzierten Parodien, Geschäftemacher Action-Figuren, Künstler Skulpturen. Mehr als 10000 Abwandlungen des „Technoviking“ lassen sich allein auf Youtube finden, schreibt der Künstler.

Matthias Fritsch selbst stellte eine Auswahl der Bearbeitungen auf Ausstellungen aus. Nachdem das Video Millionen Klicks bekommen hatte, fragte Youtube, ob sie vorher Werbung schalten können, sagt uns Fritsch. Der freischaffende Künstler gibt sein OK. Die Erlöse finanzierten dem freischaffenden Künstler das WG-Zimmer und die Künstlersozialkasse.

„Ich hatte Respekt vor der Erscheinung, ich wusste ja nicht wie er auf mich reagiert.“

Das Problem: Der „Technoviking“ selbst hat keine Lust auf seine Internet-Prominenz. Sein Anwalt mahnte bereits 2009 den Künstler Matthias Fritsch ab. Der Mann, der nur durch seinen Anwalt mit der Öffentlichkeit spricht, sieht sich in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt. Er will, dass die Videos aus dem Netz verschwinden und der Künstler alle Einnahmen überweist, die er durch die Vermarktung des Videos auf Youtube erzielt hat. Außerdem will er Schmerzensgeld. Insgesamt dürfte es sich um einen fünfstelligen Betrag handeln.

Jeder soll seinen Anteil dran bekommen, insofern sei er bereit etwas abzugeben, sagt uns Filmemacher Fritsch. Er hatte den Tänzer nicht gefragt, bevor er das Video nutzte und veröffentlichte. „Ich hatte Respekt vor der Erscheinung, ich wusste ja nicht wie er auf mich reagiert.“ Aber der Tänzer sei ja nicht in einem schlechten Licht dargestellt worden, argumentiert Fritsch. Bei seiner Performance im öffentlichen Raum hätte der Wikinger sogar in die Kamera geschaut, sie also auch wahrgenommen. Fritsch: „Also bin ich davon ausgegangen, dass ich es so oder so veröffentlichen kann.“

Kunst gegen das Recht des Einzelnen, nicht prominent sein zu wollen

Der Anwalt des Tänzers Alexander Paschke sagt uns dazu: „Bloß weil man sich auf der Straße bewegt, muss man nicht damit rechnen, dass man gefilmt wird und für immer ins Internet gestellt wird.“ Der Tänzer hätte nichts von der Filmerei mitbekommen. Und selbst wenn er es bemerkt haben sollte, dann ist damit keine Einwilligung zur Veröffentlichung verbunden. Selbst wenn es sich um Kunst handelt – „Es ist schlicht nicht zulässig jemanden gegen seinen Willen aufzunehmen und ihn dann ins Internet zu stellen. Auch wenn ich Kunst mache, muss ich das mit dem Einverständnis desjenigen machen, den ich miteinbeziehe.“

Geht es jetzt dem „Technoviking“ darum, Kapital aus der ungewollten Prominenz zu schlagen? „Nein“, sagt sein Anwalt. Schließlich besteht der anonyme Tänzer darauf, dass das Video gelöscht wird. Es gehe seinem Mandanten darum, dass nicht andere seine Person ungefragt instrumentalisieren und kommerzialisieren.

Doch kann man ungewollte Prominenz mittels Gerichtsbeschluss rückgängig machen? Als Internet-Meme hat sich die Figur des „Technovikings“ verselbstständigt: die zahlreichen Zitate und Remixe des Videos können kaum aus dem Internet und den Museen verbannt werden. Zum anderen ist der „Technoviking“ mittlerweile eine Kunstfigur. Sie hat als solche nichts mehr mit einer realen Person zu tun, wie sie vor mehr als zehn Jahren über die Straße in Berlin-Mitte stampfte. Gilt das „Recht auf Vergessen“, wie sie der Anwalt sich wünscht, auch für eine Kunstfigur?

Künstler und Filmer Matthias Fritsch im Interview

https://soundcloud.com/bln-fm-interviews/interview-matthias-fritsch

Der „Technoviking“-Anwalt im Interview

https://soundcloud.com/bln-fm-interviews/interview-alexander-paschke

(Interviews: Tim Thaler / Artikel: Alexander Koenitz)