So war’s: CTM Festival 2013

CTM13

„The Golden Age“ lautete der Untertitel der diesjährigen, 14. Ausgabe des CTM-Festivals. Doch was soll das sein, dieses „Goldene Zeitalter“? Und in welcher Weise profitieren wir als Publikum davon? Sicher, nie zuvor gab es ein größeres Angebot, nie wurde mehr Musik produziert und konnte so bequem abgerufen werden. Aber erzählen uns die Musikjournalisten nicht ständig etwas von kreativer Stagnation, Retrowahn und schwindender Aufmerksamkeitsspanne? Die Veranstalter des Festivals für „Adventurous Music and Art“ setzten sich zum Ziel, eben diese Widersprüchlichkeiten mit ihrem ambitionierten Programm durchzuspielen.

Im „Golden Age“ verbündet sich Drone-Metal mit Techno-Rhythmus

So traten Clubmusik, Metal-Acts, künstlerische Klangentwürfe und experimentelle Positionen gleichberechtigt nebeneinander. Beispiele für produktives Wechselspiel gab es genug: Nachdem der Abschlussabend im Astra von Khyam Allami und Vasilis Sarikis mit einer spannenden Fusion von orientalischen Tönen mit punkigem Esprit eröffnet wurden, machten die Drone-Metaller von Sunn O))) das Licht erst aus, nachdem sie zuvor in technoide Rhythmen verfallen waren.

Sunn O))), Astra, CTM.13 Festival – (c) CTM, marco microbi, photophunk.com 2013

So zeigte sich der Vorteil von ständiger Verfügbar- und Abrufbarkeit: Den Künstlern bleibt es mittlerweile selbst überlassen, aus welchen Genres, Strömungen und Denkrichtungen sie sich bedienen. In dieser Hinsicht von Stagnation sprechen zu wollen, mag verständlich sein – aber das Wegfallen jeglicher Grenzen bedeutet auch eine ungemeine Chance für Musik und Kunst. Wer aber findig ist, sucht sich nun neue Nischen, die Freiheitsversprechen und Möglichkeiten bieten. Und seien es die des Rave-Kontinuums der 1990er Jahre, mit dem sich auffallend viele Veranstaltungen beschäftigten.

Die Diskussionsrunde, die im Haus Bethanien dem „Death of Rave“ nachgehen wollte, entwickelte sich zur netten Plauderrunde zwischen interessanten Persönlichkeiten Anfang, Mitte 40. So konnte man gut der Aufbruchstimmung der 1990er Jahre gedenken, in der noch von Utopien – und seien es rein künstlerische – geträumt wurde. Aber war es möglich, sich darin einzufühlen? Bot das Abendprogramm der CTM mit seiner sehr theoretisierenden Ausrichtung überhaupt den richtigen Rahmen für ekstatischen Optimismus? Oder bedeuteten die vielen Diskussionen, dass selbst Rave zunehmend der Musealisierung zum Opfer fällt, institutionalisiert und kommerziell ausgeschlachtet wird?

Fällt das ekstatische Rave-Gefühl der Musealisierung und Kommerzialisierung zum Opfer?

Dass der Hardcore-Sound heutzutage in einer neuen, ungewohnten Bandbreite und Virtuosität existiert, bewiesen Shackleton, Andy Stott, Shed und andere auf der „Death of Rave“-Party. Auch Lee Gamble, der am Mittwoch bei der PAN-Labelnacht auf seiner psychedelischen Rave-Exkursion Jungle-Anleihen mit dumpfen Beats vereinte, versuchte traditionsbewusst auf der Höhe der Zeit zu sein.

Wie schön eine Nacht mit unterschiedlichen Live-Sets und konzeptuell motivierten Experimenten aufgehen kann, spürte man vor allem beim „CTM-Preglow“ im Horst Krzbrg, als Pete Swanson und Sensate Focus spielten. Das genaue Gegenteil davon gab es jedoch beim Raster-Noton-Event „Forever New Frontiers“: Zu der beeindruckenden Zukunftsmusik von Diamond Version und Emptyset auszuklinken, schien für einen Großteil des Publikums leider unmöglich gewesen zu sein. Gute Club-Atmosphäre kam auf den Partys unter der Woche trotz des abwechslungsreichen und qualitativ hochwertigen Bookings nur sporadisch auf. Kein Fehler, der ausschließlich beim musikalischen Programm zu suchen wäre: Nicht nur die abgewiesenen Menschen vor den Clubs, sondern auch viele Besuchende ärgerten sich sichtlich über die ständige Überfüllung und quatschende Nachbarn bei den ruhigeren Konzerten.

Das Publikum zerquatscht die Party-Atmosphäre

Andererseits: Dass bei der Aufführung fordernder Musik die Beziehung zwischen Künstler und Publikum ausschlaggebend für das gemeinsam geteilte Erlebnis ist, wurde im Laufe der CTM überdeutlich. Wer zum Beispiel am Freitag den Weg in die kleine Kantine am Berghain einschlug, konnte sich in die Jam-Session von Lando Kal, Sam Barker, Tim Exile und Kollegen hineinziehen lassen. In Echtzeit produzierten sie für das Publikum sichtbar an analogen und digitalen Geräten einen stetigen Loop und hatten sichtbaren Spaß daran, einen entgrenzten Fluss entlang von Techno und Acid House zu schaffen.

Mark Fell im Berghain, 30.1.2013 CTM.13, by (c) CTM marco microbi, photophunk.com 2013

Nahezu komisch könnte auf einem unbeteiligten Betrachter die Publikumsreaktion auf den Auftritt Florian Heckers beim Showcase des PAN-Labels wirken. Seine Performance bespielte sowohl Panoramabar wie auch das eigentliche Berghain. Das verleitete seine Zuhörerschaft, zwischen den Etagen hin- und herzuschlendern – immer schön in Zweierreihen, bitte nicht drängeln! Noch radikaler gab sich am gleichen Abend Mark Fell. Er kombinierte rasend schnelle, stolpernde Beats mit einem Stroboskopgewitter und brachte selbst die nüchternsten Gäste ins Wanken. Das Publikum fühlte sich ähnlich wie die sogenannten „Skydancer“, von denen Fell drei über dem Publikum hatte anbringen lassen und die zu den zerhackten Rhythmen mit ihren willkürlichen, plumpen Bewegungen fast schon wieder eine gute Figur machten. Fell selbst? Nirgendwo zu sehen. Klar: Sein Gig forderte das Publikum auf, sich mit den Erwartungshaltungen auseinanderzusetzen, ob sie nun die Tanzbarkeit der Musik oder das vom Künstler vorgetragene Entertainment betreffen.

holly herndon 31.1.2013 berghain, CTM.13 Festival – (c) CTM, marco microbi, photophunk.com 2013

Auf andere Weise versuchte Holly Herndon, die Brücke zwischen sich und dem Publikum zu schlagen. In einem nachmittäglichen „Artist Talk“ problematisierte die Klangkünstlerin, wie sie als Computerkomponistin dem Publikum zugänglich bleibt. Den Schlüssel dafür sah sie darin, dass während eines Auftritts die Intention eines Musizierenden sichtbar bleibt. Später im Berghain verwendete Herndon ihre Stimme als Auslöser für digital generierte Klänge und machte somit den Auslöser der mit minimalistischen Techno-Instrumentals unterlegten Sounds erfahrbar. Ihr gelang es, die Synthese von Klangkunst und Clubmusik mühelos und natürlich erscheinen zu lassen – auch wenn ihre Blicke gezwungenermaßen dann doch überwiegend dem Computerbildschirm galten.

Heatsick, Berghain, CTM.13 Festival – © CTM / marco microbi/photophunk.com 2013

Sowieso waren musikalische Medien, vor allem Instrumente, die heimlichen Stars des diesjährigen CTM-Festivals. Bei Heatsicks House-Dauergroove applaudierte der gesamte Dancefloor, als er endlich sein flackerndes Lauflicht ausstellte. Die Dunkelheit hielt nur für ein paar Sekunden vor, danach durfte man wieder den Nebenmann bis auf seine letzte Pore studieren. Übrigens nannte sich die schlappe Performance „Video-Liveset“. Das wurde in diesem CTM-Jahr beinahe überall dort angekündigt, wo es auch nur ansatzweise etwas zu sehen gab. Schade, denn damit waren nicht nur bei visuell interessierten Menschen die Enttäuschung über maue und willkürliche Installationen vorprogrammiert. Umgekehrt raubten die Visuals auch schon mal der Musik die Show: Die beeindruckende Collage, die sich aus Szenen der Filme Alejandro Jodorowskys speiste, lenkte am Samstag Abend im Haus der Kulturen der Welt beinahe völlig von den düster knisternden Klängen Demdike Stares ab.

Schlussendlich war also nicht alles Gold, was so schillernd glänzte. Die dezente Ironie im Titel deutete es bereits an: im „Golden Age“ sind wir noch lange nicht. Aber vielleicht zeichneten sich im Laufe dieser mit vielen ambitionierten Projekten gespickten Woche doch ab, in welche Richtung es mit der „Adventurous Music and Art“ gehen könnte. Allem Kulturpessimismus zum Trotz.

(Text: Philipp Weichenrieder, Raoul Kranz und Kristoffer Cornils / Fotos: (c) CTM, Marco Microbi, photopunk)