Dieses Facebook! Es raubt uns Zeit, Nerven und Daten. Es empfiehlt Artikel, die wir nicht lesen wollen und wer nicht so richtig aufgepasst hat, veröffentlicht ein Tagebuch eigener Neurosen, Bettgeschichten und Seelenzustände. Schon von Anfang an rebellierten Facebook-Nutzende mehr oder minder laut, vor allem dann, wenn Facebook an seinen Datenschutzbestimmungen schraubte oder die automatische Gesichtserkennung einführen wollte. „Boykott!“ drohte 2010 Verbraucherministerin Ilse Aigner, „Liked mich doch am Arsch!“, schrieb taz-Redakteur Maik Söhler. Doch die Beschwererei und das Sich-Empören haben bisher nicht viel geholfen. Selbst eine so unpolitische Kampagne wie die Forderung nach der Einführung eines „Dislike“-Daumens blieben erfolglos. Facebook-Gründer Mark Zuckerberg besteht eben drauf: in seinem Reich gibt es kein Nicht-Gefallen.
Trotzdem: ohne Facebook können und wollen die meisten nicht. Während die Nutzerzahlen des einstigen Startups die Milliarden-Marke geknackt haben, resignieren viele Nutzende gelangweilt. Geert Lovink, Medientheoretiker und Gründer des Institute of Network Cultures in Amsterdam, stellte bei der „transmediale 2013“ Alternativen zu Facebook vor und erklärte, wie sie beschaffen sein müssen um nicht so zu enden wie der Platzhirsch: als Quasi-Monopolist mit totalitären Anwandlungen.
Zu den bekanntesten Alternativen zählt das dezentrale Netzwerk Diaspora. Die Nutzer legen die geteilten Bilder und Daten nicht auf einem zentralen Speicherort ab, der einer einzigen Firma gehört, sondern auf Computern, die an unterschiedlichen Orten stehen und verschiedene Besitzer haben. Auch das Netzwerk Lorea folgt der Idee, die Kontrolle über die Daten zurück in die Hände der Nutzer zu legen. Es entstand im Rahmen der Protestbewegung in Spanien und soll ein Hilfsmittel sein, damit Menschen sich organisieren können.
Lorea, Diaspora und friendica folgen dem Prinzip der „federated networks“, einer bestimmter Form dezentraler Netzwerke. Der entscheidende Vorteil: es gibt nicht mehr nur einen Anbieter wie Facebook sondern Nutzende können sich entscheiden, wo sie ihre Daten lagern und über wen sie die versenden. Der Programmiercode der meisten alternativen Netzwerke ist frei zugänglich – die Mechanismen, nach denen die Inhalte gefiltert werden, sind somit bekannt. GNU social stellt die Codeschnipsel bereit, mit der jeder Programmierer sein eigenes dezentrales Netzwerk installieren kann.
Wie viel bringen solche Alternativen? Am Ende bleiben ja doch wieder alle bei Facebook, meinen pessimistische Stimmen. Geert Lovink will mittels solcher Werkzeuge keinen zweiten Riesen wie Facebook erschaffen, der zwar ein bißchen mehr Datenschutz bietet, bei dem aber das Monopol-Spiel wieder von vorne losgeht. Die Lösung soll vielmehr von vornherein eine ganze Sammlung vielfältiger Angebote sein, mehrere Netzwerke, die miteinander kommunizieren und so die Daten dezentral lagern.
Es soll aber nicht bei Theorie und gemütlicher Beschwerdekultur bleiben. Gemeinsam mit anderen Aktivisten, Wissenschaftlern und Technikern hat Lovink das Projekt „Unlike Us“ ins Leben gerufen. Bei den Konferenzen diskutieren die Teilnehmer, wie sie die alternativen Netzwerke konstruiert sein müssen, um nicht irgendwann genauso „evil“ wie Facebook zu werden. Die nächste Zusammenkunft findet vom 22. bis zum 23. März 2013 in Amsterdam statt und beinhaltet Workshops und einen „Hackathon“. Zusätzlich kann man ab Ende Februar die bisherigen Ergebnisse des Projekts von rund 700 Wissenschaftlern, Künstlern und Programmierern in einer Publikarion nachlesen.
Bei der Debatte um die Struktur sozialer Netzwerke geht es um die gesamte Architektur des Internets, sagt Lovink. In ein paar Jahren wird an der Struktur nichts mehr zu ändern sein, dann stehen die Monopole. Dann ist es zu spät für den Weg raus aus dem totalen sozialen Netzwerk.