Eine Wunderkammer versteckt sich schon seit der Eröffnung des „me Collectors Room“ im Mai 2010 im Obergeschoss des kleinen Museums. Funkelnde Kunstobjekte, exotische Dinge aus fernen Ländern, wissenschaftliche Gerätschaften, detailverliebtes Kunsthandwerk, launige Naturerscheinungen und anderes Wundersames wird hier in gläsernen Kästen und Vitrinen ausgestellt. In sparsam gesetztem, goldenem Licht gibt es einen Schrumpfkopf, wertvolle Pokale aus Straußenei, Nautilusschnecke oder Kokosnuss, seltsame Tierhörner, kleine anatomische Modelle aus Elfenbein, prächtige Stundengläser, einen präparierten Kugelfisch, Krokodil und Papagei, verschiedene Gemälde oder aufwendig gestaltete Tischuhren zu sehen. Es funkelt und glitzert aus den Kästen, wie es sich für eine waschechte Wunderkammer gehört.
Die temporäre Ausstellung „Wonderful – Humboldt, Krokodil und Polke“ im Untergeschoss steht gleichzeitig im Dialog und im Gegensatz zu der kleinteilig und dicht bestückten Kunstkammer im ersten Stock. In zwei großzügigen, hellen Räumen werden hier Werke der Modernen Kunst gezeigt, die sich im weitesten Sinne mit Objekten oder dem Thema der Wunderkammer auseinandersetzen. Eine Pyramide aus kubischen Glasvitrinen zeigt verschiedene Fratzenköpfe mit pseudo-wissenschaftlicher Nomenklatur, die an den Schrumpfkopf eine Etage höher denken lassen. Eine kleine Elfenbeistatuette des von Pfeilen getroffenen Heiligen Sebastian aus dem 18. Jahrhundert tritt mit einer fleischfarben marmorierten Marmorplatte in Dialog, die ebenfalls von Pfeilen durchbohrt ist. Wertvolle geschnitzte Kruzifixe aus dem 17. Jahrhundert werden neben zeitgenössischen Interpretationen der Kreuzigungsszene ausgestellt, darunter Jake und Dinos Champmans „Unholy McTrinity“. Darin tragen die krude geschnitzten Körper Jesu und der beiden Mitverurteilten die feixenden Gesichter dreier Figuren einer McDonalds-Werbekampagne. Oder Thierry de Codiers „Rien de la Croix“, in der die Kreuzigungsdarstellung schwarz übermalt ist, sodass sie nur noch aus bestimmten Blickwinkeln heraus erahnt werden kann.
Auch andere Werke setzen sich mit christlicher Ikonografie auseinander, wie zum Beispiel eine Fotografie David LaChapelles, in der nicht in frühneuzeitlicher Da Vinci-Manier zum letzten Mal gespeist wird, sondern wo Hipster-Jesus die grelle Runde seiner Apostel-Homies auf ein letztes Bier um sich schart. Besonders sehenswert sind zwei Werke, die ähnlich wie LaChapelles „Last Supper“ auf dem schmalen Grat zwischen schrillem Trash und subtiler Fazination balancieren: Wolfe von Lenkiewiczs großformatiges Gemälde „Garden of Earthly Delights“ und Grayson Perrys gewebter Wandbehang mit dem Titel „Map of Truth and Beliefs“. Ersteres erinnert stark an den mittelalterlichen Meister furchteinflößender Endzeitszenarien Hieronymus Bosch.
Auf den zweiten Blick sind jedoch Anspielungen auf Popkultur, Kunstgeschichte und den fernen Osten nicht zu übersehen. Da tummeln sich Pokémon-Charaktere neben Cranach- oder Picasso-Zitaten und Figuren aus dem Kama Sutra mit Gestalten aus dem innersten Höllenkreis. Perrys Weltkarte der Wahrheit und Glaubensrichtungen ist nicht weniger ironisch: Alle Wege der Karte, auf der Ausschwitz am Fuß des Mt. Everest liegt, Graceland neben Bethlehem und Stonehenge gleich um die Ecke von Hollywood zu finden ist, führen zur Erlösung in der Bildmitte. Ob man nun hofft in den Elysischen Gefilden, der Astralebene, dem Nirvana oder schlicht im Himmel anzukommen.
Mit „Wonderful – Humboldt, Krokodil und Polke“ ist dem „me Collectors Room“ ein mindestens so sehenswerter wie aufregender Dialog zwischen alter und neuer Kunst, kuriosen und klugen Ausstellungsstücken, berührenden und abstoßenden Arbeiten gelungen, der zu langem Verweilen anregt.
„Wonderful – Humboldt, Krokodil und Polke“, Ausstellung bis 28. April 2013, Di-So 12-18:00, Eintritt 6€/4€. Me Collectors Room – Stiftung Olbricht, Auguststr. 68, Berlin-Mitte, S-Bahn: Oranienburger Straße.