Der zweite Abend des CTM-Festivals 2013 stand ganz im Zeichen von Grenzssetzungen und -auflösungen. Am 29. Januar schickten Produzenten unter dem Motto „Forever New Frontiers“ Musik zwischen Ambient und kunstvollem Brachialtechno durch das Berghain. Dabei gab es unter anderem Diamond Versions Live-Set in Zusammenarbeit mit Atsuhiro Ito zum ersten Mal in Deutschland zu sehen.
Den Abend eröffnete Andreas Tilliander mit seinem ersten Auftritt unter seinem neuesten Produzenten-Alias TM404. Mit Ausnahme digitaler Effekte beschränkte er seine Klangerzeugung auf eine Handvoll Roland-Synthesizer und Drummachines. Was als Einschränkung erscheint, gab ihm intuitive Freiheit – die 45 Minuten polyphoner Musik zwischen Ambient und Techno waren alles andere als langweilig.
Danach wurden die Beamer angeworfen, um Akustik und Visuelles verschmelzen zu lassen. Emptyset, ein Duo bestehend aus James Ginzburg und Paul Purgas, feuerten eruptiv Bässe durch die Lautsprecher. Ihr Projektpartner Joanie Lemercier vom Künstlerkollektiv AntiVJ verwandelte die harschen Klänge zunächst in gestreute Punkte und Linien, die sich ähnlich wie eine Wellenform verhielten. Im Verlauf des Sets verdichtete sie Lemercier zu einer visuellen Abbildung der Klänge und zeigte damit, wie ausgereift die Übersetzung von Musik in graphische Formen aussehen kann.
http://vimeo.com/37121530
(Ein Teil der Visuals entsprach dem Video zu dem Track „Medium“ von Emptyset)
Den letzten Teil des musikalischen Programms übernahm schließlich Diamond Version, deren Mitglieder besser bekannt sind unter den Namen Byetone und Alva Noto. Dass die beiden „einfach nur“ Musik machen, erwartet wohl niemand, produzieren sie doch als Soloartisten verkopfte Musik und betreiben das Avantgarde-Label Raster-Noton. Mit ihrem gemeinsamem Projekt Diamond Version machen sie einen großen Schritt Richtung Tanzfläche und gestalten ihre Tracks druckvoller und zugänglicher.
Die vermeintlich verloren gegangene Prise Kunst holten sie in Person von Atsuhiro Ito auf die Bühne. Nach ihrem als „Mission Statement“ inszenierten Beginn waren Diamond Version zunächst allein auf der Bühne, flankiert von einer Übermenge an Blitzen und Visuals auf zwei großen Leinwänden über ihren Köpfen und vier zusätzlichen, flackernden Flachbildschirmen. Ihre kantigen Tracks zwischen Techno und Elektro waren an diesem Abend trotz ihrer Unkonventionalität die tanzbarsten und schöpften zusammen mit dem Lichtgewitter aus dem Vollen. Nach einiger Zeit trat Ito mit seinem phallistischen „Optron“ hinzu.
Mithilfe von Gitarrenverstärker und Tonabnehmer machte Atsuhiro Ito den verschieden starken Stromfluss durch die Lichtröhre hörbar – und fabrizierte damit etwas zwischen E-Gitarren-Klängen und Krach. Während der Solo-Performance stellte sich die Frage, wie diese ungeordneten Klänge mit der Musik von Diamond Version harmonieren sollten. Jedoch waren die Tracks von Diamond Version in den Momenten des Zusammenspiels sehr zurückgenommen und beschränkten sich darauf, Motor zu sein. Die Ausschmückungen wurden dem „Optron“ überlassen, was mal erstaunlich gut passte, hin und wieder aber etwas neben der Spur wirkte. Mit dem Licht des „Optrons“ kamen zusätzlich zu den flackernden Leinwänden und Bildschirmen weitere Informationen für das Auge hinzu, so dass der Reiz-Overkill perfekt war. Nichts anderes wollen Diamond Version aber vielleicht erreichen, wenn sie omnipräsente Markenslogans wie „Because I’m Worth It“ zitierten und damit Strategien der Werbeindustrie karikierten.