Als die Industrialisierung Mitte des 19. Jahrhundert Fahrt in England aufnahm, sahen sich die Arbeiter gefährdet. Sie gingen mit Gewalt gegen Dampfmaschinen vor, die ihre Arbeitsplätze bedrohten und den Menschen überflüssig zu machen drohte. Diese Angst hat sich heute, wo längst alle Zeichen auf Automatisierung stehen, längst verflüchtigt. Das Kollektiv Old Apparatus schickt verschlüsselte Maschinenbotschaften aus einer dystopisch-archaischen Vorstellung von London aus in die Welt, in denen Menschen Apparate statt Köpfe auf den Schultern tragen.
Erstmals tauchte der Name Old Apparatus 2011 mit einer unbetitelten Single auf Malas Label Deep Medi auf, wodurch zunächst die Dubstep-Szene das Kollektiv wahrnahm. Wer dahinter steckte, war unklar und bis heute sind die Namen der Menschen dahinter im Dunkeln geblieben. Dubstep war auf ihrer ersten Platte aber nur bedingt zu hören. In den übergangslos ineinander fließenden Teilen fanden sich neben einem dominant vibrierenden Subbass auch Verweise zu Noise und Drone.
Das spiegelt ausschnitthaft die musikalische Sozialisation der drei Mitglieder wieder, die für die Musik des Old-Apparatus-Universums verantwortlich zeigen. Der Eine schraubt HipHop-Instrumentals zusammen, der Andere ist klassisch ausgebildeter Pianist, der bei IDM- und Post-Rock-Projekten spielte und der Dritte ein Hardcore/Metal-Gitarrist mit Anbindung an die Londoner DIY-Szene. Die Freunde verbindet musikalische Offenheit und so gelingt es ihnen, ihre verschiedenen Prägungen mit neuen Einflüssen und einer offensichtlichen Vorliebe für Feldaufnahmen zu verbinden. Zum Kollektiv gehört außerdem ein Mediendesigner, der maßgebend für die visuelle Gestalt und Rezeption von Old Apparatus ist. Zusammen mit der von industriellem Rauschen, erschüttertem Bass, polternden Kicks und unheimlichen Synths geprägten Musik erschaffen seine Grafiken ein düster-schönes Weltuntergangsszenario zwischen Schrecken und Erlösung.
Um die Gestaltung ihres Universums ganz in ihrer eigenen Hand zu haben, gründeten sie vergangenes Jahr ihr eigenes Label Sullen Tone, auf dem die Single „Derren“ den Auftakt bildete. Darauf lieferte das Kollektiv wieder brummende Bässe und in Hall getränkte, scheppernde Beats. Gleichzeitig öffneten sie mit dem Einsatz von mystisch anmutendem Gesang einen humanen Raum, der mithilfe von Effekten in den plockernden Maschinenkontext eingegliedert wird. Mit der ersten Release auf ihrem eigenen Label änderte sich auch die Covergestaltung und statt schwarz-weißen Maschinenmenschen verband sich die Maschine durch goldenes Gewebe mit dem Organischen.
Einen tieferen Einblick in den Organismus von Old Apparatus erhielt man anschließend mit der EP-Trilogie „Realise“ | „Alfur“ | „Harem“, bei der jede EP jeweils von einem Mitglied allein produziert wurde.
Den Anfang machte die überraschend zugängliche EP „Realise“. „Chicago“ entfaltet mit 4/4-Kicks und einem melancholisch-schönen Pianoloop Clubpotenzial, ohne sich aufzudrängen. Bei „Found“ löst sich ein entfremdeter 2-Step-Beat aus einem Klangmeer aus Klackern und Ratschen. „Holding“ steht mit hallenden Bläsern und Drums in bester Dub-Tradition. Beim Titeltrack türmen sich über einem schleppenden Beat Wellen eines rauschenden Klangmeers auf.
Es folgte „Alfur“, dessen erster Track „Boxcat“ zu Beginn Natur und Maschine mit Vogelgezwitscher und stehenden Synthflächen vereint, bevor ein Dubstep-ähnlicher Beat einsetzt und der Track Fahrt aufnimmt. Überhaupt vereint „Alfur“ Einflüsse aus Dubstep und plockerndem LA-Instrumental-HipHop, ohne bemüht Klischees erfüllen zu wollen. Und „Lingle“ könnte mit seinen heruntergepitchten Vocalsamples und gelähmten Beats auch gut eine Reminiszenz an das kurzlebige Genre Witch-House sein.
Den Abschluss bildete Ende 2012 die EP „Harem“, die mithilfe kalter, flirrender Klänge, weiter Synthflächen wie ein düster-abstraktes Hörspiel gestaltet ist. Beats stehen zusammen mit geisterhaften Vocals (Samples von Team Sleep-Sänger Chino Moreno) wie bei „Mernom“ eher im Hintergrund. Nur „Dourade“ (einer der Lieblingstracks der BLN.FM-Redaktion des vergangenen Jahres) entwickelt mit wirbelnden Drums eine treibende Dynamik mit den Beats im Mittelpunkt, die sich als Kontrast von den beängstigend hohen und stehenden Tönen abheben.
So unterschiedlich die drei EPs waren, so klingt doch jede einzelne nach Old Apparatus, in dessen Universum trotz allem Maschinenhaften letztlich doch der Mensch in den Mittelpunkt gerät, wenn der Apparat durch die Gefühle des Hörers zum Leben gelangt. Old Apparatus ist ein Kulturprodukt, das nicht nur Wert auf Musik legt, sondern mit aufwendigen Layouts auf den rauhen Papphüllen des Vinyls auch die Augen und den Tastsinn ansprechen will. Damit beansprucht das Kollektiv Beständigkeit in einer auf Schnelligkeit basierenden Welt.