Er ist der Meister der düsteren Bilder, die aber gerade aufgrund ihrer Klarheit und ihres Realismus eine atemberaubende Spannung erzeugen. Diesen Ruf verdiente sich Jacques Audiard 2009 mit seinem gefeierten Gefängnis-Thriller „Ein Prophet“. Sein neuer Film „Der Geschmack von Rost und Knochen“ ist ein Liebesfilm im weitesten Sinne.
Ali ist ein Tier von einem Mann und weiß sich durchzuschlagen – nur mit seinem fünfjährigen Sohn Sam kann er nicht so richtig was anfangen. Eine respektable Vaterfigur gibt er nicht ab. Deshalb zieht er mit dem Jungen zu seiner Schwester, die an der Côte d’Azur wohnt. Sie nimmt die beiden auf, kümmert sich um das Kind und besorgt Ali einen Job als Türsteher in einem Club. Bei einer Schlägerei an der Tür lernt er die schöne wie selbstbewusste Stéphanie kennen, gespielt von der großartigen Marion Cotillard. Stéphanie arbeitet als Trainerin für Killerwale im Marineland. Bei einer ihrer Shows geschieht ein folgenschwerer Unfall, der Stéphanie beide Unterschenkel kostet und ihr Leben zerstört.
Das wirklich Spannende an „Der Geschmack von Rost und Knochen“ ist die Figur Alis, des Antihelden, des miserablen Vaters mit Hau-Drauf-Attitüde, der mit seinem bulligen Auftreten im wahrsten Sinne des Wortes an einen Hornochsen erinnert. Trotzdem nimmt er sich Stéphanies nach ihrem Unfall an. Dabei begegnet er ihrer Verstümmelung geradezu gleichgültig. Sein scheinbar jeglicher Empathie entbehrender Pragmatismus ist immer wieder für einen Lacher gut. Etwa wenn Stéphanie von ihrer Abscheu vor ihrem verkrüppelten Körper erzählt und davon, dass sie schon ganz vergessen habe, wie Sex sich anfühlt, woraufhin Ali sich bereit erklärt, ihrer Erinnerung auf die Sprünge zu helfen. Seine unverfängliche Art erweist sich als genau das Richtige für Stéphanie, um sich in ihrer neuen Lebenssituation zurecht zu finden. Und auch Ali fühlt sich emotional zu der Frau hingezogen, die nicht über ihn urteilt. Die zentrale Frage bleibt aber, ob Ali wirklich ein guter Mensch mit klaren moralischen Kategorien ist, oder ob in seinem Kopf der einfache Gedankengang abläuft: „Ob mit oder ohne Beine: Geile Olle bleibt geile Olle“.
Leider schleppt sich die Geschichte dann doch mehr gewollt als gekonnt gen Ende, welches man schon an mindestens drei Punkten vorher hätte setzen können. Dabei löst sich die zuvor beschriebene Spannung, der Interpretationsspielraum in dieser bis zuletzt sehr speziellen Beziehung zwischen den beiden zunehmend auf. Trotzdem kann „Der Geschmack von Rost und Knochen“ mit ausdrucksstarken Bildern überzeugen.
(Fotos: Wild Bunch Germany)
„Der Geschmack von Rost und Knochen“, Frankreich / Belgien, 2012, Drama, 120 min., ab dem 10. Januar unter anderem im Filmtheater am Friedrichshain, Bötzowstraße 1-5, Berlin-Friedrichshain, Bus 200: Bötzowstraße, Straßenbahn M4: Am Friedrichshain